Bär, Otter und der Junge (German Edition)
zu schlafen.“
Ihre Augen blitzen auf. „Es war nicht einfach für mich, weißt du“, sagt sie hitzig. „Diese Entscheidung zu treffen, war das Schwerste, was ich je getan hab. Ich hab es seitdem jeden Tag bereut, aber je mehr ich überlegt hab, wie ich's wieder gut machen kann, desto mehr Zeit ist vergangen, und es wurde immer schwerer.“
„Du willst darüber sprechen wie schwer es für dich war?“, frage ich ungläubig. „Du willst herkommen, in mein Haus und darüber labern wie schwer es für dich war? Du hast keine Ahnung, was echte Not ist!“
„Ich hab das getan, von dem ich dachte, dass es das Beste ist!“, schreit sie. „Ich war nicht in der Position, für auch nur einen von euch eine gute Mom zu sein! Es war besser für mich zu gehen, als hier zu bleiben und eure Leben auch noch zu versauen!“
Ich fange an zu zittern, höre Donner in meinen Ohren und Blitze suchen sich ihren Weg meine Wirbelsäule hinab. „Von dem du dachtest, dass es das Beste ist? Wie konntest du denken, dass das, was du getan hast, das Beste ist? Du hast deinen sechsjährigen Sohn bei deinem Siebzehnjährigen gelassen! Wie, um alles in der Welt, hätte das das Beste sein können?“
Sie schüttelt ihren Kopf und versucht, sich zu erheben, setzt sich aber sofort wieder hin. Sie knetet ihre Hände, die beginnen rot zu werden und ihr Blick wandert zwischen uns Dreien hin und her. Ich frage mich, was sie jetzt sieht, und frage mich, ob ich, wenn ich an ihrer Stelle wäre, in meinen Schuhen beben würde.
„Ich war egoistisch. Das weiß ich jetzt!“, sagt sie. „Es war für keinen von euch fair, und ich... ich will, dass ihr wisst, dass ich mir das selbst nie vergeben werde.“ Als sie endet, sehe ich, dass ihr Tränen beginnen in die Augen zu steigen, was mich nur noch wütender macht.
„Bist du deshalb hier?“, knurre ich. „Um uns um Vergebung zu bitten ?“
„Ich... ich weiß nicht, Bär. Ich dachte, dass – dass wenn ich zurückkomme...“, sie dreht den Kopf weg und hebt eine Hand, um über ihr Auge zu wischen, und ich sehe, wie ihr Make-up verschmiert. Ich möchte aufstehen, meine Hände um ihre Kehle legen und sie würgen, bis ich ein Rasseln aus ihrer Kehle höre, und ihr ein letzter Atemzug entweicht.
„Du solltest nicht hier sein“, sage ich. „Wenn du gekommen bist, um zu sehen wie es uns geht, weißt du das jetzt immerhin. Das kannst du ja benutzen, um dein Scheißgewissen zu beruhigen.“
„Pass bloß auf wie du mit mir redest, junger Mann“, fährt sie mich an. „Ich bin noch immer deine Mutter und ich lasse nicht zu, dass du so mit mir redest.“
„Ich denke nicht, dass du irgendeine Stimme hast, wenn es darum geht, was er sagt oder tut“, holt Otter zum verbalen Schlag aus. „Dieses Recht hast du vor langer Zeit verloren, als du dich wie ein Feigling verkrümelt hast, Julie.“
Sie richtet ihren Ärger auf ihn. „Ich hab nicht mit dir geredet, Oliver“, sagt sie wütend. „Seit wann sitzt du überhaupt in Familienunterhaltungen wie diesen hier? Hast du kein eigenes zu Hause, wohin du gehen kannst? Oder wolltest du dich ein wenig unters gemeine Volk mischen?“
„Rede nicht so mit Otter!“, schreit der Junge plötzlich. Ich zucke nicht mal zusammen, aber Mom weicht auf ihrem Platz ruckartig zurück, und ich denke schon, dass sie nach hinten umkippen wird. Ich sehe zu Ty hinüber und erkenne, dass sein Gesicht einen Ausdruck blanker Wut angenommen hat. „Er ist mehr meine Familie, als du es bist!“
„Ty, hier geht’s um Erwachsenensachen“, sagt sie durch zusammengebissene Zähne. „Warum gehst du nicht in dein Zimmer und wir reden später?“
„Du hast nicht das Recht, ihm zu sagen, was er zu tun hat“, schreie ich sie an. „Du hast ihn aufgegeben, als du weggegangen bist!“
„Was hätte ich sonst tun sollen?“, schreit sie zurück. „Wenn ich geblieben wäre, wär alles zum Teufel gegangen, und wer weiß, wo wir jetzt wären?“
„Wir hätten es irgendwie geschafft!“ Ich bin außer mir. „Das haben wir immer! Völlig egal wie schwer es wird, man hat niemals seine verdammte Familie im Stich zu lassen!“ Ich halte mit zitternden Händen inne. Sowohl Ty als auch Otter haben inzwischen ihre Hände auf meine Beine gelegt, und es entgeht mir nicht, wie die Augen meiner Mutter dies zur Kenntnis nehmen. „Aber ich sag dir was“, fahre ich fort. „Vielleicht hast du Recht. Vielleicht war es das Beste für dich, zu gehen. Vielleicht war es für uns alle das Beste.
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