Bär, Otter und der Junge (German Edition)
möchte nicht im Zentrum der Wut des Jungen stehen, wenn wir mit geschmolzenem Eis zurückkommen.“
„Seinem Soja eis“, erwidere ich. Er hält nicht an, bevor er durch die Tür geht. Zurück in den Regen.
Anna kommt um die Kasse herum und greift nach meinem Arm. „Siehst du, wovon ich rede?“, fragt sie. „Irgendwas stimmt nicht.“
Ich schüttle ihre Hand ab. „Nichts stimmt nicht, Anna. Lass einfach gut sein. Otter ist Otter. Mir ihm ist alles in Ordnung.“ Ich drehe mich um, um sie geradewegs anzusehen. „Und würdest du so gut sein, mit dieser ganzen College-Sache aufzuhören? Du weißt, dass ich in dieser Hinsicht zurzeit nichts tun kann.“
Sie sieht mich wissend an, sieht direkt durch mich hindurch und ich senke meinen Blick. Ich kann fühlen wie sie ihr Haar wütend zurückwirft und ich will jetzt nicht mir ihr streiten. Ich habe zu viele Dinge in meinem Kopf, als dass ich mich darum kümmern könnte, ob einer von uns auf den anderen sauer ist. Ich sehe zurück und küsse sie leicht auf die Lippen. „Ich muss los. Otter wartet auf mich.“
Sie haut mir auf den Hintern, als ich mich umdrehe, um zu gehen. „Ruf an, falls du nachher zu betrunken bist, um allein heimzufahren.“ Ihre Stimme klingt neutral.
Ich lache, denn ich weiß, dass sie weiß, dass ich mich nicht betrinken werde. Ich habe das schon seit einer ganzen Weile nicht mehr getan. Einer sehr langen Weile. Bescheuerter Scheiß passiert, wenn ich trinke.
Wutsch , die Türen öffnen sich und wutsch , schließen sie sich wieder hinter mir.
E S REGNET jetzt stärker. Ich sage nichts, als ich wieder ins Auto steige und hoffe, dass Otter ebenfalls nicht reden möchte. Den meisten Menschen ist nicht klar, dass es schön ist, hin und wieder nicht zu reden. Reden lässt Dinge real werden. Reden bringt Dinge ans Tageslicht. Reden ist Zeitverschwendung. Nichts wird jemals gelöst, nur weil man darüber redet. Menschen reden zu viel und bereuen, was sie gesagt haben, aber wenn man gar nicht redet, kann man sich später auch nicht wie ein Idiot fühlen.
Ich werfe Otter aus dem Augenwinkel einen Blick zu. Soweit ich in dem kurzen Lichtschein, den eine Straßenlaterne durchs Fenster wirft, sehen kann, ist sein Gesichtsausdruck unlesbar. Ich überlege, ob Anna vielleicht Dinge sehen kann, die ich nicht sehe. Sie ist da schon irgendwie cool, wie sie im Gegensatz zu mir Dinge in Menschen sehen kann. Ja, ich mach ihr damit das Leben schwer, denn wenn sie mir zu viel wird, sage ich ihr, dass sie neugierig ist. Ich sage ihr, dass sie projiziert. Aber gewöhnlich hat sie Recht. Ich seufze, und sehe zurück aus dem Fenster.
„Was?“, fragt Otter.
„Was was?“, sage ich.
„Es klang so, als hättest du was gesagt.“
„Hab ich nicht.“
„Oh.“
Es ist eine Weile still bevor: „Also, noch immer du und Anna, hm?“
„Ich und Anna“, sage ich.
„Ihr zwei seid schon lange zusammen.“
„Ich schätze. Immer wieder.“ 5...4...3...2...1...
„Nun, hältst du durch, Bär?“
Es ist unvermeidbar. Die Leute fragen mich das immer, als wäre ich kurz davor zu zerbrechen. Als könnte ich hinfallen und nie wieder aufstehen. Ich wünschte, die Leute wären nicht so vorhersehbar. Ich wünschte, Otter wäre nicht so vorhersehbar.
„Prima.“
„Oh.“ Eine Minute vergeht. Dann, „Nun, dir scheint es gut zu gehen. Und Ty, Mann, der Junge scheint dauernd größer zu werden.“
„Menschen verändern sich. Das passiert, wenn du für 'ne Weile verschwindest“, denke ich, dann balle ich meine Fäuste, als ich realisiere, dass ich es laut ausgesprochen habe. Scheiße.
„Verschwinden?“, fragt er und klingt ernsthaft überrascht.
„Vergiss es.“
„Was meinst du mit, vergiss es? Du kannst sowas nicht sagen und dann erwarten, dass die Unterhaltung einfach vorbei ist, nur weil du das sagst, Bär.“ Ich kann hören, wie er die Zähne zusammenbeißt und nehme an, dass er wütend ist. Gut. Lass ihn wütend sein.
„Ja, kann ich“, antworte ich und hasse, wie ich dabei klinge.
Eine weitere Minute vergeht. Der Regen auf dem Dach trommelt sein Lied.
Ich höre, wie Otter schnaubt und mit dem Kopf schüttelt. „Ich bin nicht verschwunden, Derrick. Du weißt, wo ich war.“
In diesem Moment hasse ich ihn. Wenn er meinen Namen so ausspricht, klingt er herablassend, als wäre er besser als ich und würde mit einem Kind sprechen. Das ist es, was die unendliche Schlange an Liebhabern meiner Mutter zu tun pflegte. Für sie war ich niemals Bär,
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