Bär, Otter und der Junge (German Edition)
zum Geburtstag geschenkt hatte. Es zeigte uns, wie wir am Strand entlanggingen. Ty war damals drei und hielt meine Hand und zeigte auf etwas auf dem Boden. Es war das einzige Bild, das sie von uns hatte, und sie hat es nicht mitgenommen.
Ich hielt mich an der Wand fest, als ich fühlte, wie mir die Galle in die Kehle stieg. Das kann nicht geschehen. Das geschieht nicht. Ich wollte in die Dunkelheit sinken, die bereits am Rande meines Blickfelds lauerte. Es wäre so viel einfacher gewesen, mich einfach in einer Ecke zu einem Ball zusammenzurollen, als mich dem stellen zu müssen, was wirklich vor sich ging. Es wäre so viel einfacher, einfach...
Ich spürte, wie sich etwas in meinen Magen bohrte und öffnete meine Augen, nur um zu sehen, dass ich auf meine Knie gefallen war und meine Hand gegen die Wand presste. Ich hielt noch immer das Bild in der anderen Hand und dessen Ecke bohrte sich in meinen Magen. Wut durchströmte mich und ich knallte das Bild gegen die Wand, fühlte, wie es in meinen Händen zerbrach. Glassplitter bissen in meine Haut, schnitten meine Handfläche auf. Das wiederum machte mich nur noch wütender. Die Reste des Rahmens schepperten auf den Boden, gefolgt von kleinen Tropfen Blut. Ich blickte dumpf hinunter auf das Foto, sah zu wie mein Gesicht sich rot verfärbte, dann das des Jungen; blutige Rosen über der gefangenen Erinnerung.
Ty. Scheiße .
Ich rappelte mich schnell auf und rannte zu dem Zimmer, das wir uns teilten. Sein Bett stand gegen die rechte Seite des Zimmers und war unberührt. Er war nicht da. Ich hielt einen Moment inne und versuchte, mich daran zu erinnern, wo zur Hölle meine Mutter ihn heute unterbringen sollte, während sie auf der Arbeit war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er bei unserer Nachbarin, Mrs. Paquinn, war, denn da Ty gerne in unserem Zimmer spielte, kam sie normalerweise in unser Apartment, um auf ihn aufzupassen. Ich entschied, dass es trotzdem die beste Adresse war, um mit der Suche zu beginnen. Ich war schon auf dem Weg zur Eingangstür, als mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte. .
Ich langte in meine Tasche. Den Glassplitter, der sich offenbar in meiner Hand befand, bemerkte ich erst, als er sich tiefer in meine Haut bohrte. Ich zog schnell mein Telefon hervor und sah, dass es Anna war. „Anna, ich kann gerade nicht reden“, sagte ich statt einer Begrüßung. „Ich muss Ty finden. Sie ist weg. Sie ist weg.“
„Was redest du da?“, antwortete sie. „Der Junge ist hier bei mir. Deine Mom hat ihn hier bei mir abgeliefert, nachdem ich von der Arbeit heimgekommen war und hat mich angefleht, auf ihn aufzupassen. Sie meinte, du würdest ihn abholen kommen, wenn du Feierabend hast. Warte mal... Bär, was meinst du mit `sie ist weg`? Ist deiner Mom was passiert?“
„Ty ist bei dir?“, fragte ich heiser.
„Ja, er schläft auf der Couch. Bär, was ist hier los? Warum klingst du so merkwürdig? Ist alles okay?“
„Nein“, sagte ich und begann zu weinen.
I CH versuchte, so schnell wie möglich zu Anna zu fahren, und wäre auch deutlich früher dort angekommen, hätte ich nicht ständig an den Straßenrand fahren müssen, um mich abwechselnd zu übergeben und dem Drang nachzugeben, nach etwas zu schlagen. Bis ich bei meiner Freundin ankam, war ich so durch den Wind, dass ich nicht mehr geradeaus sehen konnte. Ich umklammerte den Brief mit meiner unverletzten Hand und versuchte, Mrs. Grants Blumen, welche am Weg zur Eingangstür wuchsen, nicht zu zerstören. Jemand muss mich gehört haben, denn die Lampe auf der Veranda ging an und die Tür öffnete sich. Anna stürmte mir entgegen und warf mir ihre Arme um den Hals. Ich umarmte sie und verlor wieder die Fassung. Ich wusste, dass ich sie mit Blut verschmierte und scherte mich nicht darum. Ich glaube, sie sagte immer wieder, „Was ist passiert? Was ist passiert?“ , aber ich konnte ihr einfach nicht antworten. Also hielt sie mich einfach, wiegte mich vor und zurück, flüsterte Nichtigkeiten in mein Ohr, bis alles aus mir heraus war und ich nichts mehr zu geben hatte.
S IE brachte mich irgendwann dazu, mit ihr ins Haus zu gehen und erklärte mir, dass sie meine Hand säubern müsste.
„Wo ist Ty?“, fragte ich und ignorierte ihre Worte.
„Er schläft auf der Couch.“
„Sind deine Eltern da?“, fragte ich, als ich mich an ihr vorbeischob.
„Nein, sie sind bis morgen in Portland. Bär, was ist los? Was ist mit deiner Mom passiert?“ Ich hörte, wie sie mir ins Wohnzimmer
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