Bär, Otter und der Junge (German Edition)
und ich sehe, wie sein Gesicht weiß wird. „Du... hast das aufgehoben?“, flüstert er. „Bär, ich –“
Das ist es, ich kann es nicht mehr aushalten. Ich taste nach dem Türöffner, kann vor Tränen kaum was sehen, Himmel nochmal, und stoße die Tür auf. Ich rase vor Wut. Auf mich selbst, weil ich vor ihm heule, auf Otter, weil er mich so ausgetrickst hat, auf mich selbst, weil ich so über ihn denke. Nein! Ich knurre mich selbst an, während ich durch den Regen stapfe und mich nicht darum schere, wohin ich gehe. Otter hat das getan! Ich habe nichts falsch gemacht. Er hat mich ausgetrickst! Er hat mich ausgetrickst und ist dann gegangen! Genauso, wie ich wusste, dass er es tun würde! Ich denke, ich höre ihn, wie er meinen Namen ruft, aber in meinen Ohren donnert es zu laut, als dass ich sicher sein könnte. Es klingt wie der Ozean. Ich bin kurz davor loszurennen, als ich spüre, dass sich starke Arme von hinten um mich legen, sich vor meiner Brust verschränken. Ich drehe mich herum, um auszuholen und ihm eine zu verpassen, aber es gelingt mir nur zum Teil, bevor ich in einem schraubstockartigen Griff gepackt werde.
„Lass mich los!“, knurre ich wütend und will treten und beißen und zuschlagen und wehtun.
„Bär“, sagt er und seine Stumme grollt in meinem Ohr. „Bär.“
„Ich bin nicht wie du!“, sage ich und kämpfe, um von ihm loszukommen. „Ich bin nicht so!“
„Ich weiß, Bär. Ich weiß.“ Sein Atem fühlt sich warm gegen meine kalte Wange an. „Denkst du nicht, dass ich das weiß? Ich hätte es niemals geschehen lassen dürfen. Es tut mir leid. Es tut mir so leid.“
Ich höre auf, gegen ihn zu kämpfen, fühle, wie die Wut sich verzieht, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. „Warum bist du hier?“, stöhne ich. „Warum bist du zurückgekommen?“
Er greift mich am Kinn, zwingt mich, in seine Augen zu sehen. „Es hat nichts mit dem zu tun, was zwischen uns beiden passiert ist. Soweit es mich betrifft, war es ein Fehler. Wir hätten uns niemals küssen dürfen.“
Kapitel 3
Wo Bär in die
Vergangenheit blickt
O KAY , kleine Pause! Ernsthaft, das hier läuft deutlich aus dem Ruder. Und keine Beschwerden! Die Art und Weise, wie du's von ihm hören wirst, wird mich vermutlich wie eine Schwuchtel aussehen lassen. Nun, ich bin keine, also kannst du dir das gleich aus dem Kopf schlagen. Abgesehen davon, bin ich derjenige, der die Geschichte erzählt und ich werde es auf meine Weise tun. Du wirst damit klarkommen müssen. Abgesehen davon, würde die ganze Sache viel mehr Sinn ergeben, wenn ich ein Stück zurückgehen und dir ein wenig davon erzählen würde, wie es zu dem Moment gekommen ist. Vielleicht wird es dann auch für mich einen Sinn ergeben, warum ich draußen vor dem `Seashack - Geschenke und Kurioses` stehe, und mich im strömenden Regen am Bruder meines besten Freundes festklammere. So ein Scheiß sollte mir eigentlich nicht passieren.
Ich muss auch so schon mit genug zurechtkommen.
D A STAND ich also nun und in meinem Kopf drehte sich alles, als ich diese Worte wieder und immer wieder in meinem Kopf hörte:
ich weiß, das hier wird für dich schwierig zu lesen sein
ich muss gehen
tom sagt ty kann nicht mitkommen
also werde ich ihn hier bei dir lassen
bitte versuche nicht nach mir zu suchen
mom
Ich dachte, es wäre irgendein Witz. Ich meine, es musste einer sein, richtig? Niemand tut das seinen Kindern an. Ich las den Brief wieder und wieder und dachte die ganze Zeit über, dass jeden Moment jemand hervorspringen und „Haha, Bär! Haha, verarscht!“ , rufen würde. Ich las den Brief ein zweites, dann ein drittes und ein viertes Mal, aber die Worte änderten sich nie. Es wurde unmöglich, den Brief ein fünftes Mal zu lesen und ich verstand nicht warum, bis ich sah, dass meine Hand, die den Brief hielt, so heftig zitterte, dass man die Worte nicht mehr ausmachen konnte.
Mom?“ krächzte ich hervor und stolperte ins kleine Wohnzimmer. Die heruntergekommene Second-Hand-Couch, auf der sie zu dieser Zeit des Abends normalerweise saß, war leer. Ich machte kehrt und ging den kleinen Flur entlang, bis zu ihrem Zimmer. Ich warf die Tür auf und knipste das Licht an. Niemand war da. Genausowenig wie der ganze Scheiß, den sie normalerweise in ihrem Zimmer bunkerte. Ich öffnete alle Schubladen ihrer Kommode, eine nach der anderen, nur um sie leer vorzufinden. Bis ich zur letzten kam. Darin lag ein gerahmtes Foto von mir und dem Jungen, das Otter meiner Mom
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