Bär, Otter und der Junge (German Edition)
ließ sie glauben, dass sie die falsche Entscheidung getroffen hatte. Und dann, in dieser schicksalhaften Nacht, rief sie Otter an. Sie beschuldigte ihn nicht, offenbarte nicht ihre Ängste. Im Gegenzug erzählte Otter ihr eine Geschichte über seine Abenteuer in Kalifornien. Er sagte ihr, dass er zurückgekommen sei, um sich selbst zu finden, dass er nicht glücklich war, wo er stand. Und während sie ihm seine Worte glaubte, fühlte sie doch, dass etwas in seiner Geschichte fehlte, dass sie irgendwie defekt war. So defekt, dass sie in ihren Ohren falsch klang. Sie schob Otter in Richtung ihres Ex-Freundes und betete, dass das, was sie als Wahrheit empfand, eine Lüge war.
Aber in ihrem Herzen wusste sie, dass dem nicht so war.
Sie gab ihnen Raum, sie gab ihnen Zeit. Sie wollte keinen weiteren Druck ausüben, denn falls sie im Unrecht war, würde das die Sache nur noch schlimmer machen. Er war in ihrer Nähe vorsichtig, schien nicht die rechten Worte zu finden. Aber es war da, etwas in seinen Augen, das tanzte wie sie es nie zuvor hatte tanzen sehen. Sie wollte kreischen und schreien, um sich schlagen und treten, doch das konnte sie nicht. Sie wartete. Und wartete. Und wartete.
Und während sie wartete, geschah etwas Komisches. Sie lehnte sich an jemanden, an den sie sich nie zuvor gelehnt hatte. Das magische Wort hatte einen Bruder. Verstehst du, auch wenn er beinahe ihr ganzes Leben lang da gewesen war, hatte sie von ihm nie anders, als einen Freund gedacht. Selbst als ihr Herz gebrochen war, fühlte sie wie sich etwas in ihr regte. Sie fragte sich, ob dieses Gefühl aus der Wut heraus entstanden war. Aus Eifersucht (auf was, wusste sie noch nicht). Das erste Mal, das es passierte, geschah nicht aus Rache an ihrem Ex-Freund. Sie weiß nicht einmal, wie es passiert ist. Sie hatten über alles und nichts geredet, und jemand hat sich nach vorne gebeugt, und jemand anders hat sich näher geschoben, und ihre Lippen hatten sich getroffen, und es war seltsam, und es fühlte sich eigenartig an, und die Lippen waren ihr so fremd, aber sie hörten nicht auf.
Anna und Creed fühlten sich natürlich beide schuldig. Wie könnten sie auch nicht? Sie fühlten sich beide, als betrügen sie die eine Sache, die sie zusammenhielt. Aber selbst dann, als sie sich schwörten, dass es nie wieder geschehen würde, passierte genau das. Es geschah wieder und wieder und wieder. Und dann wollte sie nicht mehr aufhören. Sie war glücklich oder zumindest so glücklich, wie sie sein konnte. Sie fühlte, dass sie es verdiente. Sie fühlte, dass man es ihr schuldete. Sie beschloss, dass sie nichts falsch gemacht hatte, selbst als sie sich eine Lügnerin nannte.
Es ging weiter, wie diese Dinge es immer zu tun pflegen. Es gab gute Tage, es gab schlechte Tage. Sie fühlte sich gleichzeitig stark und schwach und versöhnlich und gemein. Und nach einer Weile spürte sie, dass sie sich in den Bruder verliebte, den besten Freund, die Konstante, die den größten Teil ihres Lebens ein Hintergrundgeräusch gewesen war.
Doch trotzdem hörte sie nicht auf, sich Fragen zu stellen.
Dann kam der Tag, als der Bruder in ihr Zimmer gerannt kam, seine Augen verstört, sein Körper zitternd. In dieser Nacht hielt sie ihn eine lange Zeit in ihren Armen. Er wollte ihr nicht sagen, was nicht stimmte, wollte ihr nicht einmal einen Hinweis geben, also hielt sie ihn einfach. Sie schliefen ein... und wurden von wildem Klopfen an der Tür geweckt. Sie ließ den Bruder, wo er war und öffnete die Tür. Sie sah den Jungen vor sich. Er war verängstigt und wütend, und irgendwie machte sich die Wahrheit - die lange vermutete Wahrheit - bemerkbar. Der Junge musste keine Details erzählen, es genügte, dass er sagte, dass sein Bruder tief in sich selbst verloren war. Wegen ihrer beider Mutter. Ihre Mutter war zurückgekommen und hatte ihnen alles genommen. Sie dachte an die letzte Nacht, an den anderen Bruder, der jetzt in ihrem Bett lag. Und dann wusste sie es. Als sie den zitternden Jungen hielt, schäumte die Wut in ihr erneut auf - unerwünscht, aber trotzdem da. Sie rief ihren Ex an, versteckt hinter einem Schleier.
Und als er ankam, als er den Jungen in seinen Armen hielt, als er sie mit Entschlossenheit in seinen Augen anblickte, wusste sie es. Und dann sagte er –
A NNA blickt hinunter auf ihre Hände. „Du sagtest, dass du in ihn verliebt bist, und dass du es wieder gutmachen müsstest. Deine Stimme war so verzweifelt, und ich wusste, dass du nie so für
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