Bär, Otter und der Junge (German Edition)
das Vernünftigste.“ Er sieht elend aus. „Ergibt irgendwas davon Sinn?“, fragt er mich.
„Ich bin nicht schwul, Otter. Es ist mir egal, wenn du es bist, aber ich bin es nicht.“
Er lässt den Kopf hängen. „Ich weiß, Bär. Das ist für mich okay.“
„Wie lange wirst du bleiben?“
Er sieht mich nicht an. „Ich weiß nicht“, sagt er. „Erstmal.“
„Warum bist du zurückgekommen?“
Er schüttelt seinen Kopf. „Ich will jetzt nicht darüber reden. Vielleicht später, okay?“
„Wird es überhaupt ein später geben, Otter? Oder wirst du dich einfach wieder mit dem Schwanz zwischen den Beinen davonstehlen?“ Ein Schlag unter die Gürtellinie, ich weiß, aber ich bin noch immer wütend und kann nicht anders. Ich will, dass die Worte weh tun.
Er zuckt zurück. „Ich werde es dich wissen lassen.“
„Tu das.“ Ich halte inne und überlege. „Und nur, dass du's weißt, das heißt nicht, dass irgendwas vergeben ist. Du hast einiges gutzumachen. Bei Ty meine ich.“
„Ich weiß“, antwortet er, und sieht mir endlich in die Augen.
Ich gehe an ihm vorbei, zurück zum Jeep. Das Eis ist noch nicht so sehr geschmolzen, wie ich erwartet hätte. Ich sehe auf meine Uhr und bemerke, dass uns nur noch ein paar Minuten bleiben, bevor Ty anfängt sich Sorgen zu machen. Ich drehe mich um, um Otter zu sagen, dass er seinen Hintern in Bewegung setzen soll, aber er ist schon dabei, einzusteigen. Ich werfe einen Blick zu ihm hinüber und sehe, dass der Brief aus meinem Geldbeutel auf seinem Sitz liegt. Ich strecke die Hand aus und schnappe ihn mir, bevor er sich drauf setzen kann. Ich weiß, dass er mich neugierig ansieht, als ich ihn wieder zusammenfalte und an seinen Platz in meinem Portemonnaie stecke.
„Bär?“, fragt er, während das Tick-tick-tick des Regens auf dem Dach prasselt.
Ich starre aus dem Fenster. Plötzlich fühle ich mich sehr müde. „Was?“
„Warum hast du ihn aufgehoben?“
„Was?“
„Du weißt schon.“
„Den Brief, den du mir geschrieben hast?“
„Ja.“
Weil es das Einzige war, was mir von dir geblieben ist, denke ich.
„Keine Ahnung“, sage ich laut.
Lügner , flüstert die Stimme.
Kapitel 4
Wo Bär eine
Party schmeißt
W IR reden den gesamten Rückweg nicht miteinander. Sobald wir wieder im Haus sind verkündet Otter, dass er müde ist und ins Bett geht. Er umarmt Ty und sagt ihm, dass sie sich bald wiedersehen werden. Er wünscht Creed, der gerade das Eis für den Jungen in eine Schüssel löffelt, eine gute Nacht. Er sagt nichts zu mir. Dies geht nicht unbemerkt an Creed vorbei. Er reicht Ty seinen Nachtisch und schickt ihn wieder rüber, um sich den Rinder-Holocaust , oder wie auch immer die Sendung heißt, anzusehen.
„Nun, ich gehe mal davon aus, du hast es ihm gegeben“, sagt er mit amüsierter Stimme.
„Was meinst du?“, frage ich müde.
„Nun, lass uns mal zusammenfassen. Ihr habt beinahe eine Stunde für einen Fünf-Minuten-Trip gebraucht. Ihr beide habt wie Falschgeld ausgesehen, als ihr zurückgekommen seid. Und gerade eben, hat Otter dich nicht einmal angesehen, bevor er nach oben verschwunden ist.“ Er grinst. „Na los, erzähl schon. Du hast ihm die Hölle heiß gemacht dafür, dass er so ein Arschloch war und nach San Diego gezogen ist. Stimmt's? Bitte sag mir, dass du's auf Band hast. Ich wette, du warst absolut furchteinflößend.“
Ich lache, trotz dem ernsthaften Versuch, es nicht zu tun. „Sowas in der Art.“
„Also, warum hat er's getan?“
„Was getan?“
Creed sieht mich an, als wäre ich zurückgeblieben. „Warum ist er weggegangen? Ich hab ihm nie geglaubt, auch wenn er gesagt hat, dass er mit Mom und Dad nicht mehr klargekommen ist. Er muss dir was erzählt haben.“
Du hast Leute gebraucht, die für dich stark sein können. Ich dachte, ich könnte das. Aber dann kam diese Nacht und mir wurde klar, wie schwach ich wirklich war. Du warst betrunken und hast gelitten und brauchtest einen Freund und dann haben wir uns geküsst und mir wurde klar, dass ich nicht der Stärkere sein konnte. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich dir aufzwinge und dass es... ich weiß auch nicht, Bär. Ich dachte, Abstand zwischen uns zu schaffen, wäre zu diesem Zeitpunkt das Vernünftigste.
„Und?“, fragt Creed, und verzieht das Gesicht beim Geschmack von Tys Sojaeis.
„Nein“, lüge ich. „Er hat im Grunde überhaupt nichts gesagt.“
„E INEN W AS ?“, frage ich Creed ein paar Tage später. Er und Anna sitzen am
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