Bären im Kaviar
beschäftigt sei und es einige Zeit dauern könne, bis ich empfangen werden
würde.
Am Ende einer Woche betätigungs- und
unterhaltungslosen Herumsitzens im Gästehaus wurde ich endlich höchst kor-dial
vom Außenminister empfangen und von ihm aufgefordert, meine Arbeit zu beginnen.
Die Afghanen, schätze ich, hatten ausgerechnet, daß ich mittlerweile wohl
gelernt haben würde, die Höflichkeitsregeln keines einzigen Landes mehr zu
verhöhnen, ganz gleich, in welch entfernter Ecke der Welt es auch liegen
mochte.
Sie hatten recht.
Der letzte Treck
Eines der verbreitetsten
Wesensmerkmale aller Beamten des Auswärtigen Dienstes ist die
Selbstverständlichkeit, mit der sie annehmen, der Ort ihrer jeweiligen
Tätigkeit sei der Mittelpunkt des Universums. Solange sie sich dort befinden,
sind seine Probleme weit wichtiger als die irgendeines anderen Ortes. Im State
Department wird dieser Geisteszustand »Localitis« genannt, und seine Opfer
werden gewöhnlich mit wohlwollender Nachsicht behandelt.
Als ich in Kabul eintraf, wütete in
Europa, Asien und Afrika der Krieg. El Alamein, Stalingrad, Casablanca und
Teheran eroberten sich je eine kurze Zeit lang die Schlagzeilen der Presse,
aber nachdem ich einen Monat dagewesen war, erkannte ich klar, daß diese
wenigen Sekunden weltweiter Bedeutung doch sehr vergänglich waren und daß die
Zukunft der Menschheit eigentlich nur von dem bestimmt werden würde, was in
Afghanistan hinter Khaiber-Paß und Oxus geschah. Gewiß konnten Kabuls Probleme
manchmal nicht welterschütternd aussehen, aber ich nahm dann bereitwilligst an,
daß hier der Schein trog. Hin und wieder kam es auch vor, daß das State
Department die lebenswichtige Bedeutung der afghanischen Innenpolitik oder den
entscheidenden Wert der Gesandtschaft in Kabul nicht voll zu erkennen schien.
Dies wurde besonders augenscheinlich, als das State Department — nachdem ich
sechs Monate lang dringend telegrafisch um eine Schreibmaschine gebeten hatte —
mir freundlicherweise einen Wasserkühler schickte.
Als ein einheimischer kultureller
Verein mit der Bitte an mich herantrat, ihn doch mit den allemötigsten
Ausrüstungsgegenständen für eine in Afghanistan zu gründende
Laientheaterbewegung auszustatten, arbeitete ich mühsam und sorgfältig eine
genaue Bedarfsliste aus. Zuerst hatte ich versucht, diese Arbeit von der
Gesellschaft selber erledigen zu lassen, doch bemerkte man sehr richtig, daß
ich von dergleichen entschieden mehr verstünde. Wir in Amerika hatten Theater.
Sie hatten niemals eines gehabt. Die einzigen Requisiten, die sie von sich aus
für unumgänglich notwendig erachteten, waren:
Perücken (sortiert),
Geräusche (sortiert, besonders für
Gewitter und Kanonenschießen),
Kostüme (sortiert),
Kulissen (sortiert).
Sie gaben jedoch nach einigem Zögern
zu, daß die letzteren beim Transport reichlich platzraubend sein mußten. Da
Schiffsraum zur Zeit nur für teuerstes Geld zu haben war, meinten sie, es
genüge wahrscheinlich, wenn Washington nur Anweisungen zum Herstellen von
Kulissen schickte. Ich sandte die Liste mit der ausdrücklichen Bemerkung ein,
daß die Bitte im Interesse der Unterstützung kulturell rückständiger Gebiete
vordringlichst erfüllt werden möge. Eine Antwort habe ich nie erhalten.
Das gleiche geschah, als der
Rundfunksender mich um eine Uhr mit demselben Glockenspiel wie dem des Big Ben
bat, welche aber die Stunden nach der Sonnenzeit schlagen sollte. Da diese
Bitte eine kurze Erläuterung zu fordern schien, fügte ich meinem Schreiben noch
eine historische Fußnote bei.
In der guten alten Zeit, vor der
Regierung des gegenwärtigen Königs Sehir Khan, hatten die Mullahs das Land
beherrscht — und zwar so ausschließlich, daß sogar die Tageszeiten einzig und
allein von ihnen verkündet wurden. Eines der Überbleibsel ihrer Herrschaft war
die Tatsache, daß in Afghanistan noch bis zu meiner Ankunft die Sonnenzeit
gebräuchlich war. (Die Differenz zwischen Sonnen- und Normalzeit ist den
meisten unbekannt und ist auch im allgemeinen nicht von Bedeutung — außer wenn
man gerade die Sechs-Uhr-Kurzwellen-Nachrichten von New York zu hören versucht.
In diesem Falle kann es sich unangenehm bemerkbar machen, wenn die Uhr
vielleicht zehn oder zwanzig Minuten vorgeht.)
In jenen alten Tagen wurde die Zeit in
Kabul durch den Mittagsschuß von der Festung angegeben. Die genaue Mittagszeit
festzustellen war das Vorrecht des Obermullah, der zu diesem Zwecke im Hof
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