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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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durchzukommen.
    »Ich habe mich einem Trupp
verwilderter Kinder angeschlossen«, erwiderte er, »und irgendwie haben wir es
dann eben geschafft.«
    »Wo war das?« erkundigte ich mich.
    »Armavir.«
    Er
erinnerte sich nicht an jenen bestimmten Holzwagen, gab aber zu, eine ganze
Anzahl davon leergeräubert zu haben. In jener Nacht in Armavir schlief ich noch
schlechter, als ich befürchtet hatte, und fuhr am nächsten Morgen nach Sotschi.
    Sotschi war kalt und düster — was mir
übrigens alle vorher erzählt hatten. Ich nahm also einen Sowjetdampfer nach
Batum, der in Poti umladen mußte und einige Stunden Aufenthalt hatte. Im Hafen
lud eine Anzahl fremder Schiffe, hauptsächlich griechische und türkische,
Getreide. Ich fragte einen Schiffer, wohin das Korn gehe.
    »Ins Ausland — für Devisen«,
antwortete er. Die Art, wie er es sagte, zeigte deutlich, daß auch er an die
Hungersnot nicht viel weiter nördlich dachte.
    Baturn war warm und fast tropisch. Ich
nutzte das schöne Wetter zu einer ausgedehnten Wanderung in die Berge jenseits
der Stadt. Leider war ich in keiner allzu guten körperlichen Verfassung und
überschätzte meine Kräfte. Auf dem Rückweg hatten meine Füße Blasen, alle
Knochen taten mir weh, und ich war hundemüde. Ein georgischer Bauer, der meine
Müdigkeit wohl erkannte, bot mir einen Platz auf seinem Panjewagen an. Dankbar
kletterte ich neben ihn. Es dauerte nicht lange, bis wir uns auch schon in
gebrochenem Russisch munter unterhielten. Ich erkundigte mich, ob die Pferdchen
einer Kollektivfarm gehörten. Er verneinte lächelnd. Sie gehörten ihm selber
und würden ihm auch weiterhin gehören. Drei Stück habe er bereits an ein
Nachbarkollektiv abgeben müssen, aber zu weiteren Abgaben würde ihn keine Macht
der Welt zwingen können. Er unterstrich die Worte durch eine Geste, aus der
hervorging, was er mit jedem machen würde, der jemals einen Druck auf ihn
ausüben würde. Ich fragte ihn, weshalb er sich denn nicht auch einem Kollektiv
anschlösse. Waren die Zeiten nicht dadurch besser geworden, und bekam man nicht
mehr Brot, wenn man mitmachte? Was gefiel ihm denn nicht am Kollektivsystem?
Als Antwort drückte er mir einen seiner beiden Zügel in die Hand.
    «Wenn Sie nach links wollen, ziehen
Sie an Ihrem Zügel. Ich will nach rechts und ziehe an meinem. Was geschieht?
Sehen Sie, wir bleiben stehen. So geht’s mit dem Kollektiv — jeder will was zu
sagen haben, und das Ganze bleibt stehen.«
    Die Erklärung erschien mir so gut wie
nur irgendeine. Nach ein, zwei Tagen fuhr ich nach Tiflis weiter, der meiner
Meinung nach schönsten Stadt der Sowjetunion. Ob es daran liegt, daß die
dickköpfigen Georgier ihre Gewohnheiten, Häuser und Städte nicht sowjetisieren
lassen wollen (selbst dann nicht, wenn es durch Georgier geschieht), oder ob es
am Klima und der Landschaft liegt, weiß ich selber nicht. Aber Tiflis mit
seinen engen, gewundenen Straßen, seinen handgeschmiedeten Gitterbaikonen,
seinen Gärten und Parks hat mehr Eigencharakter und Charme als irgendeine Stadt
der UdSSR.
    Doch ich mußte schleunigst nach Moskau
zurückfahren. In den Zeitungen tauchte die Nachricht auf, Bullitt käme eher
wieder, als erwartet, und natürlich wollte ich bei seinem Eintreffen dasein. So
stieg ich also nach wenigen Tagen des Umherschlenderns in den alten Stadtteilen
und einem bißchen Klettern in den nahe gelegenen Bergen wieder in den Zug nach
Baku.
    Ich benutzte ein Schlafabteil zweiter
Klasse zusammen mit drei russischen Parteimitgliedern, die vor der Abfahrt noch
die Zeit gefunden hatten, etliche Liter Wodka zu erstehen. Es wurde eine
fröhliche, lärmende und ziemlich schlafarme Nacht, in der wir Wodka tranken und
einander zahllose Fragen über Rußland und Amerika stellten.
    Um fünf Uhr morgens kamen wir in Baku
an. Meine Parteifreunde hatten mir das Europa-Hotel empfohlen. »Da wohnen alle
Ausländer«, versicherten sie mir. Das Hotel war voll besetzt, bis auf ein
Zimmer, das wenigstens während des Tages frei war. Der Nachtportier versprach,
es später herzurichten, wenn ich so lange warten wollte. Ich setzte mich also
in die Halle und wartete. (Warten ist ein russischer Nationalzeitvertreib.)
    Während ich dort die Auswirkungen der
fröhlichen Nacht über mich ergehen ließ, kam der Hotelschuhputzer vorbei, der
soeben seinen Tag beginnen wollte. Er fand mein Russisch nicht gut genug und
schaltete auf Türkisch und dann auf Deutsch um. Endlich versuchte er es mit
Englisch. Wir plauderten

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