Bären im Kaviar
da Botschafter nur ihr
Staatsoberhaupt bei anderen Staatsoberhäuptern repräsentierten, nicht aber bei
schlichten Bürgern — das war die Aufgabe eines Konsuls. (Wenn das nur mehr
Amerikaner wüßten!) Der richtige Weg sei also, zu seinem Hotel zu gehen, eine
Visitenkarte mit Namen und Adresse abzugeben und ihn selber entscheiden zu
lassen, ob er einen sehen wolle oder nicht. Schon am ersten Tag von Bullitts
Aufenthalt erschien ich im National-Hotel, hinterließ meine Karte beim Portier
und ging. Zwei Tage verstrichen ohne Nachricht, drei Tage, vier Tage — immer
noch nichts. Ich war die ganze Zeit über nicht aus der Wohnung gewichen, damit
ich den heißersehnten Anruf nicht verpaßte, doch hatte sich niemand hören
lassen. Als nur noch zwei, drei Tage bis zu Bullitts Abreise übriggeblieben
waren, rief Duranty mich an.
»Ich dachte, Sie wollten Bill Bullitt
wegen Ihres Visums und der Möglichkeit einer Anstellung sprechen?«
Ich sagte, ich wünschte mir nichts
heißer, als Mr. Bullitt zu sprechen, und hätte meine Karte beim Portier
abgegeben und gehofft, der Botschafter würde mich rufen lassen. »Aber bis jetzt
hat er’s noch nicht getan, und ich vermute, daß er’s auch weiter nicht wird tun
wollen.«
»Nun stellen Sie sich bloß noch an wie
ein Esel«, sagte Duranty, »wir haben 1933, nicht 1820. Visitenkarten gehen
verloren, und außerdem ist Bullitt viel zu beschäftigt, um Leute über das
komplizierte Moskauer Telefonsystem zu sich zu rufen. Gehen Sie und rufen Sie
ihn selber an.«
Ich
aber blieb steif und würdig wie mein alter Onkel. »Der Botschafter weiß, wo ich
bin. Er weiß, daß ich ihn zu sprechen wünsche, und falls er Zeit und Lust hat,
mich zu sehen, kann er mich rufen lassen. Ich jedenfalls werde ihn nicht mehr
belästigen.«
Duranty lachte über meinen Dickschädel
und hängte ein. Am nächsten Morgen rief er mich wieder an. »Da Sie Bullitt
absolut nicht stören wollten, habe ich mir gedacht, ich will’s für Sie tun.
Andernfalls würden Sie nach seiner Abreise nämlich schön in der Patsche sitzen
mit Ihrem abgelaufenen Visum. Ich habe gestern abend mit ihm über Sie
gesprochen. Er weiß durchaus, daß Sie hier sind, und hat Ihren Besuch schon
erwartet. Er bat mich, Ihnen zu sagen, daß er heute abend um sieben im Hotel
sein wird.«
Um halb sieben öffnete ich die Tür
unseres kleinen Etagenhauses und trat auf die dunkle Straße hinaus. Es schneite
ein bißchen, als ich mich auf den Weg zu dem etwa einen Kilometer entfernten
National-Hotel machte. Ich dachte, die frische Luft würde mir guttun. Jetzt
also war der gefährliche Augenblick gekommen — es würde sich zeigen, ob meine
verschwommenen Pläne, nach Oberst Pattons Worten, »hirnverbrannter Blödsinn«
waren. In einer Stunde würde ich wissen, ob ich einen Posten im Auswärtigen
Dienst hatte oder zu den Millionen anderer Arbeitsloser nach Hause zurückgehen
konnte. Ich muß gestehen, ich war etwas nervös.
Im National-Hotel redete und
argumentierte ich mich durch etliche Sperren in der Halle und auf den Fluren
zum Zimmer des Botschafters durch, wo ich zaghaft an die Tür klopfte. Ein sehr
kahler, sehr rosiger Kopf zeigte sich in der Öffnung:
»Sind Sie Thayer? Dann kommen Sie
herein.«
Der Botschafter trug einen grellbunten
Seidenkimono — nicht ganz das, was ich mir unter diplomatischer Uniform
vorstellte. Aber was hatte ich schon dagegenzusetzen? Mein Mantel, ein
mottenzerfressener Pelz, stammte aus einem Trödlerladen in Philadelphia, und
meine Sealmütze, die mein Vater 1901 in Petersburg erstanden hatte, war so
grotesk, daß sogar meine nicht sehr modisch veranlagten russischen Freunde sie
sonderbar fanden. Von Mantel und Kappe tröpfelte schmelzender Schnee. Auf dem
Boden breitete sich schnell eine Lache aus. Mir ging siedend heiß auf, daß ich
mich wahrhaftig nicht von der besten Seite zeigte, nur bin ich in Kleiderfragen
eben niemals kompetent gewesen. Als der Botschafter mich anredete, schleuderte
ich Mantel und Kappe schnell in eine Ecke.
»Duranty hat mir erzählt, Sie möchten
in der Botschaft beschäftigt werden. Er sagt, Sie studierten Russisch. Wieviel
können Sie schon?«
Ich stammelte, daß ich im Augenblick
noch nicht sehr weit sei, aber eifrig lerne.
Der
Botschafter nahm einen Packen Papier vom Tisch. »Hier haben Sie den Text des
Theaterstückes, das ich heute abend sehen soll. Lesen Sie’s mir vor.«
Er warf mir den Packen über den Tisch
zu. Ich verfehlte ihn, und die losen Blätter flogen
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