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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Tages waren wir immer noch nördlich von
Rostow. Chip und ich saßen nach dem Essen lesend in unserem Abteil, als sich
die Tür öffnete und Budjennyis gewaltiger Schnauzer im Spalt erschien.
    »Haben
Sie vielleicht zufällig von dem >Amerikanskoje wino< bei sich, den Sie
mir in der Botschaft serviert haben?«
    »Amerikanischen
Wein? Ich kann mich nicht erinnern, daß wir jemals Wein angeboten haben. Wie
sah er denn aus?«
    »Es
war braunes Zeug«, erklärte Budjennyi eifrig, »und verdammt stark. Wist...
Wiskij? Wiskij — jawohl, so hieß er! Wiskij nennen Sie ihn.« — »Whisky!
Natürlich! Davon haben wir eimerweise bei uns. Möchten Sie einen trinken?«
    »Nicht
jetzt. Wir sind bald in Rostow, wo ich auf dem Bahnhof vor einigen Genossen
eine Ansprache halten muß. Aber sofort hinterher komme ich wieder.«
    Es scheint eine ziemlich lange Rede
gewesen zu sein, denn der Zug stand fast eine Stunde in Rostow, und es wurde
zehn Uhr, ehe Budjennyis Schnauzbart erneut in der Tür auftauchte.
    »So, jetzt bin ich frei. Bis morgen
früh. Erst bei Naltschik soll ich Stalin zu einer Saujagd treffen.«
    Er setzte sich zwischen uns, schenkte
sich selbst einen Becher scharfen schottischen Whiskys ein, kippte ihn auf
einen Schlag in die Kehle und brummte zufrieden. Darauf fegte er jedem von uns
einen Arm um die Schulter, schmetterte, seiner Meinung nach seien alle
Amerikaner wunderbare Leute, und gab uns jedem einen knallenden, feuchten Kuß
auf die Backe. Seine gesträubten Schnurrbarthaare kitzelten uns heftig im Ohr,
als er uns liebevoll an sich drückte.
    Und dann rückten wir uns bequemer
zurecht und begannen das Trinken etwas ernster zu nehmen. Dumm war nur, daß es
im ganzen Zug kein Trinkwasser — oder sonstiges Wasser — gab. Auf Budjennyis
Vorschlag erstanden wir auf der nächsten Station eine Wassermelone, bohrten sie
an, gossen einen Liter Whisky hinein und tranken das, was nun herauskam.
Zweifellos war es kein veredelter Whisky, doch zumindest ein leicht verdünnter.
    Dreizehn Minuten später waren von
unseren ursprünglich fünf Litern noch genau zwei übriggeblieben.
Nichtsdestoweniger ging es Budjennyi blendend, als der Schaffner ihn erinnerte,
daß wir in zehn Minuten die Station Naltschik-Verbindungsbahn erreichten. Er
kippte einen letzten Becher »Amerikanskoje wino« und erhob sich.
    »Stalin könnte an der Bahn sein, um
mich abzuholen, und ich möchte nicht, daß er mich betrunken und mit ein paar
jungen Amerikanern lärmend erwischt«, bemerkte er und zog sich in sein Abteil
zurück.
    Als der Zug hielt, kam er wieder zum
Vorschein: rasiert, gekämmt und aussehend, als sei er soeben nach einer gesund
durchschlafenen Nacht aufgewacht. Chip und ich konnten nur mühsam ans Fenster
stolpern und ihm auf Wiedersehen sagen. Dann krochen wir in unsere Kojen und
schliefen, bis wir am anderen Nachmittag in Baku geweckt wurden. Sobald mir
Budjennyi in Moskau wieder begegnete, erkundigte ich mich neugierig, wie er
damals den ersten Ferientag überstanden hätte.
    »Fünf Wildschweine geschossen«, war
die lakonische Antwort, »aber große!«
    Die Jagd in Baku entsprach nicht ihrem
Ruf, doch erwies sich die lokale Gastfreundschaft dafür als weit
überdurchschnittlich. Wir machten einen Abstecher nach Daghestan, wo der
Nordkaukasus ins Kaspische Meer vorschießt. Leider wußten die Fasanen, daß wir
kamen, und verschwanden. Dann versuchten wir, in den Sümpfen um Baku Enten zu
schießen. Nun gab es zwar Enten, aber bei weitem nicht genug, um uns für
längere Zeit festzuhalten. So arrangierten wir zum Schluß eine Fahrt in die
Wüste am Kura, um dort Gazellen zu jagen. Unser Gastgeber, Genosse Babajew, war
örtlicher Vorsteher des Intourist und von Moskau angewiesen, uns in allem behilflich
zu sein. Es war 1934, also noch während der Flitterwochen-Periode der
sowjetisch-amerikanischen Beziehungen, und nichts war für uns zu gut oder zu
teuer. Babajew war ein Mann der großen Pläne und zugleich ein
leidenschaftlicher Jäger. Alles, was er tat, hatte Größe. Mit Kleinigkeiten gab
er sich nicht ab. Kurz nach unserem Besuch erfuhren wir zum Beispiel, daß er
das nagelneue Intourist-Hotel in Baku an die Vereinigten Ölarbeiter als
Klubhaus verkauft und den Erlös eingesteckt hatte. Soviel ich hörte, war es
sein letzter wirklich großer Handel; denn in den sibirischen Salzbergwerken
fehlt das dazu notwendige Geld.
    Abgesehen von dieser dummen
Angewohnheit des Unterschlagens war Babajew ein prächtiges Parteimitglied.

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