Bären im Kaviar
flüsterte, die
ich zu befördern hätte. Um jene Zeit hielt sich Sumner Welles zur Besprechung
eines etwaigen Friedens in Berlin auf, und selbst Hitlers Zöllner wünschten den
Krieg nicht zu verlängern, wenn es sich verhindern ließ. Obschon ich es nicht
ausdrücklich behauptet hatte, schienen sie offensichtlich anzunehmen, ich
transportierte Friedensvorschläge, und hielten meine Zurückhaltung in diesem
Punkt wohl für äußerste Geheimhalterei oder gar für Bescheidenheit. Tatsächlich
war mein Paß das einzige offizielle Dokument in meinem Besitz. Doch nun wurden
Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, die Grenze wieder zu öffnen und den
mysteriösen Kurier durchzulassen. Um mich die zwei Kilometer bis zur belgischen
Bahnstation zu befördern, bemühten sie sich um ein Auto oder einen Pferdewagen,
trieben aber schließlich nur ein Fahrrad auf. Nachdem ich meinen Koffer ans Rad
geschnallt hatte und gut und wohl in die schwarze Nacht hinausradeln wollte,
gab mir der Oberzöllner noch beiläufig eine Warnung mit auf den Weg. Der
äußerste Grenzposten sei per Telefon nicht zu erreichen und deshalb von meinem
Kommen nicht in Kenntnis gesetzt. Es bestehe also immerhin die Möglichkeit, daß
er auf mich schösse. Der wackere Beamte setzte voraus, ich nähme dieses Risiko
frohgemut auf mich. Mir freilich gefiel der Gedanke, wegen eines zusätzlichen
Ferientages in Nacht und Nebel erschossen zu werden, nicht sonderlich. Außerdem
war die internationale Lage auch gespannt genug, ohne daß amerikanische Vizekonsuln
im Dunkeln um die Ecke gebracht zu werden brauchten. Ich teilte ihm deswegen
höflich mit, daß ich gegen die Übernahme eines solchen Risikos energisch
protestieren müsse, band meinen Koffer wieder los und stiefelte ins
Bahnhofshotel, wo ich bald in einem gemütlichen Zimmer untergebracht wurde.
Kaum war ich aber eingeschlafen, als sich der oberste Leiter des Grenzschutzes
bei mir melden ließ.
Ob es mir vielleicht etwas ausmache,
die Grenze auf einer Eisenbahnlok zu überqueren, die sie für mich aufgetrieben
hätten? Ich fand, daß eine Dampflokomotive sicher genug sei, und in weniger als
einer halben Stunde fuhr ich im Führerstand meines Privatzuges nach Belgien
hinüber. Am gleichen Abend noch wurde ich in den besten Restaurants von London
als »letzter Ankömmling« aus Deutschland gefeiert.
Drei Tage lang riß sich die ganze
Stadt um mich. Dann kreuzte jemand Neues aus Deutschland auf, und ich war
»passé«. Zudem ereignete sich noch eine Kleinigkeit, die meine Abfahrt nach
Moskau beschleunigte. Ich hatte aus Hamburg einige Exemplare von der RAF
abgeworfener Flugblätter mitgebracht. Sehr wenige davon waren wirklich bis
Hamburg gekommen — vermutlich infolge eines kleinen Irrtums über die
geographische Lage der Stadt. Zwanzig Kilometer nördlich von Hamburg befand sich
ein großer Wald, den ich häufig übers Wochenende zur Jagd aufsuchte und der
jetzt in Flugblättern geradezu versank. Nach dem späteren Zustand Hamburgs zu
urteilen, hat die RAF den navigatori-schen Fehler, der zu dieser Deplacierung
führte, bald korrigiert.
Aus irgendeinem Grund—vielleicht aus
Bescheidenheit seitens des Informationsministeriums, wahrscheinlicher jedoch
aus begreiflicher Besorgnis vor der (nicht ganz unverdienten) öffentlichen
Kritik an der Qualität der Flugblätter — galten diese als »geheim«, und die
englischen Zeitungen konnten keine Abzüge bekommen. Ohne die ängstliche
Zurückhaltung des Informationsministeriums auch nur zu ahnen, hatte ich gleich
am ersten Abend in London meinen Vorrat an Flugblättern freigebigst unter
verschiedene amerikanische Journalisten verteilt. Am nächsten Morgen schon
zierte ein Abdruck davon die Titelseite einer führenden Londoner Zeitung.
Unverzüglich häuften sich im Unterhaus die Proteste, und man beschloß, die
Lücke in der Absperrung zu suchen. Ich reiste am nächsten Tag nach Moskau ab.
Moskau hatte sich in den zwei Jahren
meiner Abwesenheit nicht allzusehr verändert. Unter den Diplomaten gab es
einige neue Gesichter, und es waren mehr Deutsche da als früher. Politisch war
man ein bißchen Zickzack gefahren, mit dem Ergebnis, daß die Deutschen nun als
liebe Freunde und die Amerikaner als böse Feinde betrachtet wurden. Aber das
bedeutete für die deutschen Diplomaten äußerste Höflichkeit gegenüber allen
offiziellen russischen Stellen. Sie konnten es sich nicht länger erlauben, das
rote Licht zu überfahren oder einen sowjetischen Schutzmann zum
Weitere Kostenlose Bücher