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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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in der sich unser Archiv auflöste. Nach heroischem
Anlauf begann ich erklärend zu stottern, daß amerikanische Archive mit einer
besonderen Schutzlösung umgeben sein müßten, aber die Erklärung fiel natürlich
so flach wie die Kiste Brandy.
    Nach etlichen dreißig Stunden
erreichten wir Kasan, wo uns ein geschäftiger, hemdsärmeliger Genosse empfing
und mitsamt unserer Ladung in seine Obhut nahm. Wir waren allesamt daran
gewöhnt, wo immer wir hinkamen, von Intouristleuten erwartet zu werden. So
schüttelten wir auch jetzt dem Genossen in Hemdsärmeln leutselig die Hand und
murmelten, wie Stanley in Afrika: »Intourist, wie?« Der aber erwiderte
schlicht: »Nein, Ministerpräsident der Tatarei.« Ehe wir seinen Amtsbereich
wieder verließen, sollten wir noch manche Auseinandersetzung mit ihm haben
(einschließlich eines Falls von Menschenraub und mehrerer Aufruhrakte), doch
verloren wir nie ganz die Überzeugung, daß er viel besser in Cooks Reisebüro
als auf den Präsidentschaftsstuhl einer der autonomen Republiken der
Sowjetunion passe.
    Er war sehr liebenswürdig und
verschaffte uns ein großes Holzhaus in der Straße der Wölfe, in dem wir mehrere
faule Wochen damit zubrachten, das »Archiv« zu bewachen. Kasan war eine
freundliche kleine Provinzstadt an der Wolga, und viele seiner Bewohner
erinnerten sich noch gern an das amerikanische Hilfskomitee unter Hoover, das
der Hungersnot kurz nach dem Ersten Weltkrieg wenigstens die größte Härte
genommen hatte. Bald aber füllte sich Kasan mit Flüchtlingen aus Westrußland,
und mit dem Anwachsen der Bevölkerung wuchs auch die Nahrungsmittelknappheit.
    Obschon wir hauptsächlich von unseren
eigenen Vorräten lebten, erhielten wir doch auch einiges durch den lokalen
Kreml, und deshalb richtete sich prompt der Groll der Ortsansässigen gegen uns.
Ein-, zweimal krachte ein Stein gegen das splitterfreie Glas unseres
Dienstwagens, und gelegentlich wurde uns in unmißverständlichen Wendungen
mitgeteilt, wo die Tataren uns am liebsten sähen — und das war nicht in Kasan.
    Viel zu tun hatten wir nicht. Unsere
Verbindung mit Moskau über ein einziges unzulängliches Telefon war äußerst
gefährdet. Die verbleibende Möglichkeit, die Tagesneuigkeiten durch den
Rundfunk zu hören, litt unter allzu häufiger Unterbrechung der Stromzuführung.
Es dauerte nicht sehr lange, bis die Moral im Holzhaus in der Straße der Wölfe
ins Wanken geriet.
    Eines Abends hatten wir herumgesessen,
ein bißchen Schach gespielt, die düsteren Nachrichten von der Front diskutiert
und hin und her spekuliert, welche Chancen wir hatten, Rußland lebendig zu
verlassen, falls Moskau fiele. Die Aussichten waren alles andere als gut. Die
beiden einzigen Fluchtmöglichkeiten von Kasan — außer der Eisenbahn nach Moskau
— waren die südliche Zweiglinie der Transsibirien-Bahn und die Wolga bis zum
Kaspischen Meer. Keine von beiden war besonders einladend, und als wir zu Bett
gingen, waren wir uns einig, daß die Zukunft nicht rosig sein würde.
    Kaum war ich an jenem Abend
eingeschlafen, als mich ein Mark und Bein erschütternder Schrei von Charlie
Dickerson, der in einem Alkoven jenseits des Flures schlief, auffahren ließ.
Als ich an sein Bett stürzte, muffelte er unzusammenhängende Wortfetzen über
Wölfe, die ihn angegriffen hätten, so daß ich das Ganze für Alpdrücken hielt
und ihm vorschlug, ein Glas Wasser zu trinken.
    Am nächsten Tag waren die Nachrichten
aus Moskau nicht besser. Nachdem wir das Nachtprogramm des BBC gehört hatten,
waren wir sogar noch bedrückter als am Abend. Die Hauptstadt war schwer
zerbombt. Die Deutschen standen nur noch hundert Kilometer weit von der Stadt,
und die allgemeinen Aussichten waren trübe. In völlig deprimierter
Gemütsverfassung gingen wir zu Bett.
    Als ich gerade gut und wohl
einschlummern wollte, riß mich abermals ein Schrei von drüben aus beginnendem
Dämmerzustand hoch. Charlie war aus dem Bett heraus, ehe ich auch nur drüben
war.
    «Es sind Wölfe, sage ich euch«,
stammelte er aufgeregt, zugleich durch den Alkoven hüpfend und wild in die
Vorhänge schlagend. »Ich weiß verdammt genau, daß es Wölfe sind! Sie kamen
schnurstracks ins Zimmer und schnüffelten am Bett, bevor ich einschlafen
konnte.« Mike Michela und ich taten unser Bestes, ihn zu beruhigen. Schließlich
packten wir ihn wieder unter die Decken.
    Doch als sich der Vorgang am dritten
Abend wiederholte, war kein Halten mehr. »Ich bin absichtlich wach

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