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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Hälfte von Djulfa, entgegentuckerte. Ich dachte wehmütig an meinen
liebenswürdigen alten Freund, den Zollbeamten von drüben. Tausende von
Kilometern schienen zwischen uns zu liegen, Tage vergangen zu sein, seitdem wir
uns voneinander verabschiedet hatten. Und was war in Wirklichkeit geschehen?
Ich war nur in einen anderen Stadtteil gelangt.
    Es war weit nach Mitternacht, als wir
vor einem sauberen kleinen Gebäude mitten in der Stadt anhielten. »Das Hotel«,
bemerkte der junge Offizier leutselig. Irgend etwas aber in seiner Stimme und
der Art und Weise, in der mich die Soldaten anstarrten, machte mich
nachdenklich. »Sie können die Nacht hier verbringen und mit dem Frühzug nach
Eriwan und Tiflis fahren. Zufällig müssen auch ein paar von meinen Soldaten
dorthin. Sie werden Ihnen gerne Gesellschaft leisten.«
    Er führte mich in einen winzigen,
jedoch sauberen Raum mit Pritsche, Stuhl und Tisch, aber ohne Fenster. Ich
protestierte. Ohne frische Luft könne ich unmöglich schlafen, wandte ich ein. Nach
einigem Hin und Her wurde ich höflich in einen anderen, ähnlich eingerichteten
Raum geleitet, der mit einem winzigen, runden, schwervergitterten Fenster
versehen war. Ich wies auf die Eisenstäbe und fragte: »Gegen Einbrecher?« Der
Leutnant grinste und ging hinaus.
    Ich rollte meinen Schlafsack auf die
Pritsche, holte mein Waschzeug und trat aus der Tür. Schon sprang wieder ein
Soldat mit der Flinte auf mich zu, und zum siebenundzwanzigsten Mal an diesem
Abend wurde mir befohlen, zurückzugehen.
    »Nun hören Sie mal gut zu, mein
Bester: Ich möchte ja nur ins Badezimmer gehen. Ich bin schon den ganzen Tag
unterwegs und natürlich von oben bis unten schmutzig und…«
    Der Leutnant erschien. Ich wiederholte
meine bescheidene Bitte. Ritterlich schob er die Wache beiseite und eskortierte
mich persönlich auf einen kleinen und ziemlich heftig stinkenden Hof. Hinter
uns her marschierte der Wachsoldat, die Hand am Griff der Waffe. Ich sah mich
begierig nach irgendeiner sanitären Einrichtung um, doch der Leutnant wies mit weiter,
majestätischer Geste um sich:
    »Einfach irgendwo«, sagte er.
    Wieder in meinem Zimmer angelangt,
forderte ich kategorisch und hochtrabend, den »maître d’hôtel« zu sehen. Die
Wache zwinkerte verständnislos mit den Augen. Der Leutnant sah ebenfalls völlig
perplex drein, kehrte jedoch nach fünf oder zehn Minuten mit einem sorgsam in
einen gestärkten weißen Kittel gesteckten Individuum zurück, das noch dazu ein
sauberes weißes Handtuch um die Hüften geschlungen trug.
    »Ich werde zum Essen in den Speisesaal
kommen«, sagte ich gnädig, »sorgen Sie für etwas ganz Einfaches, vielleicht ein
Omelett und eine Flasche Rotwein. Ich wasche mich nur noch und bin in zehn
Minuten da.« Der »maître d’hôtel« schnappte nach Luft. Er begann hilflos mit
den Füßen zu scharren, sich zu räuspern und zu winden.
    Ich wiederholte: »Ich werde in zehn
Minuten im Speisesaal sein. Das ist alles. Sie können gehen.«
    Er drehte sich um und ging auf die Tür
zu. Unter dem weißen Handtuch konnte ich die gestreiften Hosen der
NKWD-Grenzpolizei sehen.
    In der Tür stoppte er und wandte sich
plötzlich wieder um: »Zum Teufel, was glauben Sie eigentlich, wo Sie sind?«
Seine Stimme klang höflich — nur völlig verwirrt.
    »Im Hotel von Djulfa, natürlich.«
    »Hotel — gepfiffen! Im Gefängnis.«
    Aber der NKWD-Beamte ist immer findig,
sogar in Djulfa. Schließlich wurde mir in meinem winzigen Raum ein superbes
Omelett und eine sogar noch vorzüglichere Flasche Rotwein serviert. Am nächsten
Morgen eskortierte mich mein gastlicher Hauswirt, der Leutnant, zum Bahnhof.
Mit seinen beiden Soldaten machte ich dann eine höchst vergnügliche Fahrt durch
den Südkaukasus. Als wir den Ararat passierten, erkundigte ich mich, was sie
tun würden, wenn Noah ohne Visum von seiner Arche herunterstiege. Sie wußten es
auch nicht.
    Am Nachmittag schlenderte ich durch
die hübschen Straßen von Eriwan, frei und ganz allein — bis auf den
unvermeidlichen kleinen Mann hinter mir in schwarzer Lederkappe und
doppelreihigem blauem Sergeanzug — der Uniform der allgegenwärtigen
Geheimpolizei.

Arme hungernde Diplomaten
     
     
     
    Der deutsche Angriff auf Rußland 1941
war vermutlich einer der telegrafisch am eingehendsten erörterten Handstreiche
in der gesamten Militärgeschichte. Monatelang vorher schon fand zwischen Moskau
und den westlichen Hauptstädten ein wilder, hitziger Depeschenwechsel über

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