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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Chaperon des Moskauer Diplomatischen Korps aufzuführen.
Ein neuer Fliegerangriff setzte ein. Ein Teil des Bahnhofs war in der vorigen
Nacht getroffen worden. Schließlich fand jemand den Zug — natürlich ohne
Speisewagen; doch dafür mit einem großen leeren Gepäckwagen hinter der
Lokomotive. Niemand wußte, wofür der Gepäckwagen bestimmt war, aber die
amerikanische Reisegruppe machte sich nicht erst die Mühe, es herauszufinden.
Sowie der Bahnhofsvorsteher seinen Rücken wandte, fuhren wir die Lastwagen mit
unseren Vorräten auf den Bahnsteig, und in wenigen Minuten war die ganze Ladung
verstaut. Obendrauf setzten wir einen unserer Boten mit dem strikten Befehl,
die Türe von innen zu verriegeln und nicht eher wieder aufzumachen, als bis er
durch meine Stimme dazu aufgefordert würde. Kurze Zeit darauf fuhr der Zug —
mit den britischen, polnischen, jugoslawischen und amerikanischen
Botschaftsangehörigen — langsam aus dem Bahnhof. Ein weiterer Zug mit dem Rest
des Diplomatischen Korps folgte in kurzem Abstand hinterher. Ich starrte düster
aus dem Fenster auf die nur schwach erkennbaren Umrisse der Gebäude, an denen
wir vorüberfuhren. So hatte ich mir meinen Abschied von Moskau wahrhaftig nicht
ausgemalt! Zum Glück blieb auch diesmal nicht viel Zeit zum Ausmalen —
Botschafter Steinhardt hatte in der Überstürzung seinen Schirm verloren! Ich
versuchte ihm beizubringen, daß dort, wohin wir nun gingen, in absehbarer
Zukunft vermutlich mehr Schnee als Regen fallen würde, aber er wollte
hartnäckig seinen Schirm wiederhaben. So suchten wir den gesamten Zug ab und
fanden ihn schließlich in Sir Stafford Cripps’ Abteil, wo ihn irgendein
intelligenter Gepäckträger — begreiflicherweise — deponiert hatte. Cripps
jedoch, der für seinen verstorbenen Premier, den schirmtragenden Chamberlain,
nie besondere Vorliebe an den Tag gelegt hatte, war froh, ihn wieder los zu
sein.
    Von Moskau nach Kuibyschew ist es so
weit wie von Washington nach Detroit, also etwa achthundert Kilometer. Selbst
bei dem in Rußland üblichen rasanten Schneckentempo hofften wir, in achtzehn
Stunden dort zu sein, und waren infolgedessen enttäuscht, als wir beim
Aufwachen am nächsten Morgen feststellten, daß wir immer noch nicht mehr als
dreißig Kilometer vom Kreml entfernt waren. Wie sich ergab, hatten die
Deutschen einen verzweifelten Versuch gemacht, die Stadt von Süden her
einzuschließen. Zu unserem Glück waren sie durch den Gegenangriff eines
russischen Kavalleriekorps zurückgeschlagen worden, knapp ehe sie die ostwärts
führende Eisenbahnlinie erreichten. Das Artilleriefeuer hatte die Schienen ein
paar hundert Meter weit aufgerissen. Nach etlichen Stunden waren sie immerhin
so weit repariert, daß wir langsam darüberrollen konnten. Wir hielten dann,
verschiedentlich ohne erkennbaren Grund, so oft, daß wir um Mittag erst
fünfzehn Kilometer weitergekommen waren. Mittlerweile war das Moskauer
Diplomatische Korps wolfshungrig geworden und machte das dem abgehetzten Chef
des Protokolls recht klar. Er lächelte gewinnend und versprach Abhilfe. Beim
nächsten Stopp ging ich zum Gepäckwagen und holte einige große Büchsen Thunfisch
und einen Behälter mit Biskuits. Botschafter Steinhardt brachte einen alten
Zinnbecher zum Vorschein und eine Dose Sterno-Feuerungsflüssigkeit. Der
Biskuit-Behälter wurde in eine Kaffeekanne verwandelt, und innerhalb kurzer
Zeit war zumindest die amerikanische Gruppe verpflegt. Eine Extra-Tasse für
Botschafter Cripps blieb sogar noch übrig.
    Aber das laute Magenknurren von über
hundert britischen, polnischen und jugoslawischen Diplomaten übertönte alle
Geräusche des Zuges. Wir Amerikaner hatten zwar genug für uns, doch ergab
bereits ein knapper Überschlag, daß es bei weitem nicht ausreichte, alle satt
zu machen. Es wurde Nacht. Molotschkow, der Chef des Protokolls, hatte immer
noch nichts Eßbares herbeigeschafft. Am zweiten Morgen war das halbverhungerte
Diplomatische Korps gefährlich gestimmt und nicht willens, sich von dem
unseligen Chef des Protokolls permanent vertrösten zu lassen. Nur durch das
Versprechen, beim nächsten Halt in der ersten größeren Stadt an der Strecke
telefonisch eine ausreichende Mahlzeit zu bestellen, konnte er die erregten
Gemüter etwas besänftigen. Leider hielten wir auf der nächsten Station nicht.
Statt dessen befanden wir uns, als der Zug wieder Stillstand, mitten in einer
fast verlassenen Steppe. Weit und breit war nur — etwa einen halben

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