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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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den
mutmaßlichen Termin statt: der 1. Mai, der 15. Mai, der 23. Mai, der 15. Juni?
Trotzdem hatte die amerikanische Botschaft vierundzwanzig Stunden vor dem tatsächlichen
Angriff am 22. Juni noch ihr volles Friedenskontingent an Vizekonsuln,
Visumbeamten und Frauen. Für diejenigen unter uns, die für die
Verproviantierung der Botschaft verantwortlich zeichneten, war das schon längst
eine ständige Quelle des Kummers. Jeder Extramund hemmte unsere Beweglichkeit —
und gerade auf diese schien es uns im Kriegsfälle speziell anzukommen.
    Nach erbitterten Guerillakämpfen
zwischen dem zarten Geschlecht und den Junggesellen der Botschaft gelang es
letzteren, die Damen bis in die Flugzeuge nach Schweden und Persien
zurückzudrängen. Am Abend des 21. Juni waren alle sicher außer Landes. Wir
begossen unseren Sieg mit einigen Flaschen Sekt, gingen zu Bett und wachten
mitten im Krieg auf. Die Situation war nicht sehr lustig, doch befanden wir uns
jetzt zumindest in einer tipptoppen, ordnungsgemäßen Kriegsverfassung.
    Leider löste auch das nicht all unsere
Probleme. Natürlich war es wunderschön, weitblickend genug gewesen zu sein,
alle unsere Keller in Moskau mit Nahrungsmitteln und Getränken vollzustopfen,
doch angenommen, Moskau fiel, und wir mußten in die Steppe flüchten? Wie
sollten wir in der Eile auch noch etliche Tonnen Büchsenware hinter uns
herzerren? Überdies hatten wir unsere ganze Rechnung ohne das Pentagon gemacht.
Sobald der Krieg begann, wurde ein Strom von Offizieren zu uns gesandt. Sie
waren beauftragt, die Rote Kavallerie, die Rote Artillerie, die Rote Luftwaffe,
ja sogar die Rote Flotte in Aktion zu beobachten. Als sich vier Jahre später am
VE-Tag der letzte Pulverdampf verzog, hatten ein paar von ihnen einen oder zwei
ruhige Frontabschnitte besucht. Andere hatten das Näherrücken der Front
notieren können, die weitaus größere Zahl jedoch hatte zu ihrer ohnmächtigen
Wut vom Krieg entschieden weniger gesehen als der durchschnittliche russische
Muschik. Alle aber waren patente Kerle, und daß sie enttäuscht wurden, war
nicht ihre Schuld. Abgesehen davon freilich mußten sie alle essen, rauchen und,
wenigstens gelegentlich, trinken.
    Wie man sieht, konnte die Wichtigkeit
unseres Bemühens, nahe genug bei den Proviantvorräten zu bleiben, wohl kaum
überschätzt werden.
    Und es gab noch eine weitere
Schwierigkeit. Selbst der undiplomatischste Mensch wäre nicht zu den Russen
gegangen, um zu sagen: »Sehen Sie mal, wir haben da eine Masse Konserven in
Moskau lagern, die wir gern an einen sicheren Ort bringen möchten, für den
Fall, daß Moskau eingenommen wird und ihr Burschen dann im letzten Moment
vergeht, uns mit Lebens- und Transportmitteln zu versorgen.« Erstens war
anzunehmen, daß die Russen nicht gern mit einer möglichen Evakuierung Moskaus
konfrontiert werden würden. Zweitens wäre es ja auch nicht zu taktvoll, ihnen
glatt heraus zu sagen, daß sie uns oder unsere Lebensmittel einfach vergessen
würden. Drittens aber mußten wir trotzdem was unternehmen, denn wenn wir
tatsächlich einmal alle zusammen fliehen mußten und sie dann selber nichts zu
essen hätten, würden sie ausgerechnet um unser leibliches Wohl kaum sehr
bemüht sein.
    Wie gewöhnlich hatte Botschafter
Steinhardt eine glänzende Idee, wie man uns glatt und angenehm aus dieser
heiklen Lage befreien konnte. Die Nahrungsmittelkisten bekamen die Aufschrift
»Archiv«. Dann setzte er den Russen liebenswürdig auseinander, es handle sich
um streng geheime Dokumente, deren Verbleiben in der Frontzone viel zu
gefährlich sei. »Wäre es nicht klüger«, fragte er das Kommissariat für
Auswärtige Angelegenheiten, »diese Geheimakten ins Landesinnere zu schaffen,
etwa nach Kasan oder an die Wolga?« Das Kommissariat für Auswärtige
Angelegenheiten stimmte zu, und eine kleine Gruppe, bestehend aus dem
Botschaftsrat Charlie Dickerson, dem stellvertretenden Militärattache, Mike
Michela, sowie einer Handvoll bunt zusammengewürfelter Helfer, wie Yang, Midget
und ich, waren bald schon mit einem Waggon »Archivmaterial« unterwegs nach
Kasan.
    Alles war glatt vonstatten gegangen,
bis auf dem Bahnsteig in Moskau eine Kiste des »Archivs« ausrutschte und
hinknallte und ein dünnes braunes, weithin nach Brandy riechendes Rinnsal auf
den Boden sickerte. Wir fielen aus allen Wolken, die Gepäckträger grinsten, und
der Güterbahn-Vorsteher sagte ein paar notdürftig verschleierte Anzüglichkeiten
über die ungewöhnliche Form,

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