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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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näher bei Moskau. Nach
außen hin blieb die Bevölkerung ruhig, doch war die Mischung von Nervosität und
Furcht, die dicht unter der Oberfläche jeden beherrschte, leicht zu entdecken.
Eine Organisation nach der anderen wurde in den Osten verlegt.
    Eines Tages riefen mich Freunde vom
Ballett an: »Wir dürfen eigentlich nicht darüber sprechen, aber wir verlassen
Moskau heute nacht per Extrazug nach Kuibyschew. Die Große Oper, das gesamte
Ballettkorps und das Orchester werden in einem einzigen Zug untergebracht;
irgendwelche Maßnahmen zu unserer Ernährung scheinen nicht getroffen zu sein. Könnten
Sie uns was zum Essen geben?«
    Ich
erwiderte, daß ich von den Vorräten der Botschaft nichts abgeben dürfe, doch
selber noch ein paar ersparte Büchsen in meiner Wohnung hätte, die ich ihnen
gern geben würde. Zwei Tage später rief Botschafter Steinhardt seine
militärischen und politischen Mitarbeiter zu einer Besprechung zu sich.
    »Wie lange wird sich Moskau noch
halten?« fragte er uns. Die Meinungen platzten noch heiß und wild aufeinander,
als eine Stunde später der Sekretär seine Nase durch die Tür steckte: »Molotow
erwartet Sie in zwanzig Minuten im Kreml, Herr Botschafter.«
    »Na,
ich nehme an, das bedeutet Abreise«, meinte Steinhardt, »soll mich nur wundern,
wohin sie uns schicken.« Mir fiel die Unterhaltung mit meinen Ballettfreunden
ein. »Höchstwahrscheinlich Kuibyschew«, meinte ich.
    Nach einer Stunde war Steinhardt
zurück. »Wir haben noch genau sechs Stunden bis zur Abreise nach Kuibyschew.«
Er wandte sich zu mir um: »Verdammt noch mal — woher wußten Sie das?«
    Die nächsten sechs Stunden wurden
ziemlich hektisch. Zwar waren wir schon seit Wochen auf einen eventuellen Umzug
vorbereitet, doch war es trotzdem keine Kleinigkeit, zuerst den gesamten Stab
der Botschaft zu benachrichtigen, dann zu packen und rechtzeitig und gemeinsam
am Sammelpunkt einzutreffen. Die Frauen der Botschaftsangehörigen hatten wir ja
gescheiterweise vor Kriegsausbruch evakuiert, aber als jetzt für uns alle der
Tag der Abreise gekommen war, zeigte es sich, daß eine ganze Anzahl
unentbehrlicher russischer Sekretärinnen samt einigen kleinen Kindern
mitmußten. Und als letzte, aber nicht am wenigsten lästige Frau begleitete uns
die Korrespondentin Alice-Leone Moats.
    Gegen Abend trafen wir uns alle im
Ballsaal des Spaso-Hauses, wo sich acht Jahre zuvor an einem Frühlingsmorgen
die Mitglieder der neuen Botschaft zum erstenmal um Bullitt versammelt hatten.
Der Abend war traurig und düster. Draußen fiel häßlicher Schneeregen. Die
matschigen Straßen waren verödet. Am meisten fiel uns freilich auf, daß weit
und breit kein Polizist zu entdecken war — zum ersten und einzigen Mal seit der
Revolution von 1917. (Später fanden wir heraus, daß sie alle an die Front
geworfen worden waren, um ein Loch in der Frontlinie nordwestlich der Stadt zu
schließen. Sie schlugen sich tapfer, und die deutschen Divisionen wurden wenige
Kilometer vor der Stadtgrenze zum Halten gebracht.) Über uns hörten wir das
Brummen der Flugzeugmotoren, rundum dröhnten die Flakbatterien. Drinnen im
Ballsaal standen oder saßen auf dem Boden fünfundsiebzig Männer, Frauen und
Kinder. Alle warteten auf das Zeichen zur Abfahrt. Sooft draußen ein Schuß
losging, schüttelte Ivan Yeaton, unser Militärattache, düster sein Haupt und
verkündete, es sei der Ton eines deutschen Feldgeschützes.
    »Hat gar keinen Zweck, es auch nur zu
versuchen, Charlie«, rief er mir zu, »die haben die Stadt inzwischen todsicher
umzingelt.«
    Ich hörte nicht richtig hin, weil ich
eiligst überschüssige Decken und Heizöfen einsammelte oder hastige, allerletzte
Überlegungen mit der kleinen zurückbleibenden Gruppe anstellte.
    Schließlich kam die Nachricht, der
Evakuierungszug erwarte uns auf dem Kasaner Bahnhof. Wenige Minuten später wand
sich eine lange Wagenschlange, gefolgt von zwei Lastwagen mit Extravorräten,
aus dem Tor des Spaso-Hauses und durch die verlassene Stadt. Auf dem Bahnhof
herrschte totale Verwirrung. Niemand wußte, wo der Zug war — außer daß er nicht
da war, wo er hätte sein sollen. Niemand wußte, wie viele Passagiere er
mitnehmen konnte oder welche Vorbereitungen zu unserer Ernährung unterwegs
getroffen waren.
    »Aber ganz gewiß wird ein Speisewagen
vorhanden sein«, wiederholte Molotschkow, der Chef des Protokolls, immer
wieder, doch klang es nicht sehr überzeugend. Es war Molotschkows Beruf, sich
als Kindermädchen und

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