Bahnen ziehen (German Edition)
in ordentlicher blauer Helvetica STUDEBAKER steht. Nach dem Essen lege ich mich auf den Boden und sehe dem fahrerlosen Korso zu.
Im Frühling 2010 verbringen James und ich ein paar Wochen in Berkeley, wo er an einem landwirtschaftlichen Projekt arbeitet. Ich kaufe mir eine Zehnerkarte für ein Freibad in der Nähe unseres angemieteten Hauses. Jeden Morgen um sieben zieheich den Badeanzug an und laufe hinüber, um beim Bahnenschwimmen um halb acht mitzumachen.
Heute Morgen regnet es ununterbrochen, und die Wasseroberfläche ist pockennarbig und trüb. Wenn ich beim Schwimmen in die eine Richtung rechts Luft hole und in die andere links, sehe ich einen schwarzen Sessel am Beckenrand. Jemand hat grüne Kringel auf die gepolsterte Lehne gesprayt. Das Becken ist von einem breiten Betondeck umgeben, dahinter kleine stämmige Kiefern und ein Maschendrahtzaun, in den grüne Plastikbänder hineingewoben sind. Ich nehme mein Brett vom Rand und schiebe mir die Brille auf die Stirn. Jeweils zwei Schwimmer teilen sich eine der sechs Bahnen. Der Trainer der Berkeley Aquatics Masters, der mich mehrmals zum Training mit seinem Team eingeladen hat, steht in Gummistiefeln und einem langen roten Anorak am flachen Ende, einen grüngelb gestreiften Schirm in der Hand. Er ist für die marokkanische Nationalmannschaft geschwommen; während er seinen Schwimmern zusieht, kommt nordafrikanische Musik aus einem Ghettoblaster. Der Nebel, der vom Wasser aufsteigt, ist dünn; er wabert über den Bahnen und wird nach Osten geweht. Während ich Beinübungen mache, beobachtete ich die Masters beim Training. Ich schwimme vierhundert Yards Beine, dann fange ich mit vierhundert Yards Arme an.
Als Kanadierin, die mit dem metrischen System aufgewachsen ist, muss ich mich an die 25-Yards-Bahnen erst gewöhnen. In der Dusche höre ich, wie zwei Frauen über das Wetter reden, und habe keine Ahnung, was sie mit vierzig Grad Fahrenheit meinen. Ich erinnere mich an ein paar Wettkämpfe alsTeenager in U . S .-amerikanischen 25-Yards-Becken, als die Studebaker-Treffen seltener und die Schwimmwettkämpfe häufiger wurden. Einer in Rochester, New York, ein anderer in einem Freibad in Lakewood, Ohio, und ein letzter im Robert- J .- H .-Kiphuth-Exhibition-Pool in Yale. Nach einem Umzug finde ich beim Auspacken eine Videokassette mit einem Film, den mein Vater 1987 bei dem Wettkampf in Rochester gedreht hat. Das Hallenbad ist dunkelgelb und grün gefliest, die Fenster sind hoch und lassen helles, milchiges Licht herein. Die Kamera findet mich am Ende des Beckens. Ich bin dreizehn, schmal und groß. Vor dem Start gehe ich hinter den Blöcken auf und ab, ziehe mir immer wieder die Träger meines grünblauen Anzugs zurecht. Als die Schwimmer auf die Startblöcke steigen, scheine ich das einzige Mädchen zu sein.
Beim Schwimmen folgt mir die Kamera durchs Becken, erst in die eine Richtung, dann in die andere. Mein Vater hat den Timer eingestellt, und am unteren Rand des Bildschirms wird meine Zeit in weißen Digitalzahlen festgehalten. Es ist ein 200-Yard-Rennen. Aus dem Off ist die Stimme meiner Mutter zu hören, die mich mit lauten, fast panischen Rufen anfeuert. Ich gewinne mit Abstand und steige unhöflicherweise aus dem Becken, bevor meine Konkurrenten am Ziel sind. Die Kamera zoomt langsam auf meinen glänzenden Kopf, als ich mich in ein Handtuch wickele und mir das Gesicht abtrockne. Ich ziehe eins der grünen T-Shirts an, die das Team für den Wettkampf drucken ließ. In weißer Silkscreen-Schrift steht da: Mississauga-Rochester Invitational 1987, Hasta La Vista Baby!
Das Band stoppt, und setzt mit einem Schwenk durch die Halle zu Mrs. Mitchell wieder ein. Sie ist die Mutter von Luannund Daniel, die mit Derek und mir trainieren. Mrs. Mitchell sitzt in ihrem Mannschafts-T-Shirt auf einem Plastikstuhl an der Hallenwand, starrt ins Wasser und reibt abwesend die Füße aneinander. Dann bemerkt sie die Kamera, macht »Ta-da« und grinst. Die Kamera bewegt sich nicht. Mrs. Mitchell sieht weg, verlegen lächelnd. Die Kamera hält weiter auf sie.
Plötzlich sind wir draußen auf dem Parkplatz, neben unserem grünen Dodge-Van. Das Mikrofon fängt das laute Rauschen des Windes ein und Fetzen aufgekratzter Gespräche. Die Kamera findet meine Mutter, die sich in einer kleinen Gruppe mit anderen Müttern unterhält.
»Lorna!«, ruft mein Vater.
Sie dreht sich um, blinzelt lächelnd in die Sonne und winkt. Die anderen Frauen sehen ebenfalls herüber und winken, dann
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