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Bahnen ziehen (German Edition)

Bahnen ziehen (German Edition)

Titel: Bahnen ziehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leanne Shapton
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Rücken liegen bleiben, dramatisch keuchend. Ein Bademeister mustert uns von seinem Hochstuhl aus, dann sieht er zu seinem Kollegen auf dergegenüberliegenden Seite. Die Bademeister sehen aus wie Spiegelbilder, die Arme auf den Armlehnen, die Füße flach auf der Plattform; sie tragen identische dunkle Fliegerbrillen und haben sich die Schnüre ihrer Trillerpfeifen durch die gelben ärmellosen T-Shirts gezogen. Derek findet eine große flache Pfütze, die die Julisonne aufgeheizt hat, und setzt sich hinein. Ich finde ein trockenes Stück auf dem warmen, bleichen Stein, ziehe die Knie an die Brust und sehe mich minütlich um, um den schmetterlingsförmigen Abdruck zu inspizieren, den mein Po im nassen Badeanzug auf dem Boden hinterlässt. Nach zehn Minuten springen wir wieder ins Wasser und spielen von neuem Schiffbruch. Das tiefe, hallende Dröhnen des Sprungbretts wird noch stundenlang durch den Park getragen, bis das Schwimmbad um sechs schließt und die Wasseroberfläche sich beruhigt und spiegelglatt ist.
    Nachts im Bett hören wir manchmal das Dröhnen des Bretts und wissen: Rabauken, Raucher, Heavymetal-Typen, Einbrecher, die Vergebung brauchen. Ich hatte Angst vor ihnen, so wie ich Angst davor hatte, Regeln zu brechen, oder vor allem, was nach Zigaretten roch. Neunzehn Jahre später und zwanzig Kilometer östlich des Serson-Schwimmbads steige ich in einer heißen Juninacht mit zwei Freunden, die beide Jason heißen, über einen Maschendrahtzaun. Der Sunnyside-Gus-Ryder-Pool liegt direkt am Ufer des Ontario-Sees. Im Zuckerrausch nach zu viel Geburtstagskuchen und Weißwein springen wir angezogen ins Wasser, die Jasons in ihren Shorts, ich in einem rosa Partykleid.
    Als ich meinen Bruder und seine Familie in Toronto besuche, entdecke ich, als ich im Bad stehe, ein auf dem Badewannenrand ausgebreitetes graues Handtuch mit der Aufschrift Etobicoke Swim Club und einem Ahornblatt in verblasstem weinrotem Moiré. Ich trockne mir damit die Hände ab und gehe wieder nach unten.
    »Ich weiß, was ich mir von dir zu Weihnachten wünsche«, sage ich zu Derek.
    »Was? Es ist doch erst Februar.«
    »Mein ESC -Handtuch. Du bist nie für Etobicoke geschwommen!«
    »Es muss in die Wäsche.«
    »Okay!«
    Meine Schwägerin hört uns. »Ich glaube, auf dem Handtuch habe ich Emmett geboren.«
    Als ich im Herbst 1988 zum Etobicoke Pepsi Swim Club wechsele, hat Derek bereits mit dem Schwimmen aufgehört. Ich habe beim zweiten Wettkampf der Qualifikationsmeisterschaften 1988 gut abgeschnitten, werde elfte und dreizehnte in meinen besten Läufen, und mein Trainer schlägt den Wechsel vor. Früher hieß der Verein Etobicoke Swim Club oder ESC , aber nachdem es ein paar Schwimmer in Seoul aufs Podium schafften, meldete sich ein großer Sponsor. Mitch, der neue Cheftrainer, wurde von der University of Florida rekrutiert. Er ist Olympionike und hat Olympioniken trainiert. Mitch sieht aus wie Dennis Quaid, trägt eine dunkle Lederbomberjacke mit Lammfellkragen und trinkt bei den Morgentrainings eine Dose Cola light nach der anderen.
    Das Etobicoke Olympium fühlt sich an wie eine Kathedrale. Die mächtigen Dimensionen eines 50-Meter-Hallenbeckens erzeugen eine gedämpfte Ehrfurcht, der Sprungturm aus Beton steht da wie ein Hochaltar (mit gelegentlich herabfallenden Kreuzformen). Mitch spielt auf dem Unterwasser-Soundsystem der Synchronschwimmer Rod Stewart und ertränkt damit alle Musik, die wir selbst im Kopf haben (Nuala, Erasure; Claude, U 2; Marcel, R . E . M .; ich, The Cure).
    Es ist ein großer Schritt von meiner kleinen Mannschaft zu Etobicoke Pepsi. Strengere Regeln, längere, schwierigere Trainings und härtere Schwimmer, die mit mehr Ernst dabei sind. In meiner alten Mannschaft war ich auf den schnellen Bahnen, hier trainiere ich auf den langsamsten. Ich hasse es, auf Bahn acht zu schwimmen, wo sich in zwei Meter Tiefe ein dunkles verspiegeltes Fenster an der Beckenwand befindet. Es fühlt sich an, wie am Eingang einer Höhle vorbeizuschwimmen. Ich hasse das Gefühl, dass jemand dort steht und mich beobachtet, und jede Spiegelung in der Scheibe lässt Panik in mir aufsteigen. Es ist deprimierend, im Training zu den langsamsten zu gehören, und das Cross-Training ist einsam – kilometerweites Joggen durch die Vororte und auf den Lieferantenwegen um das Schwimmbad, endloses Treppensteigen einen aufgeschütteten Hügel hinauf. Ich bin keine gute Läuferin, kann nicht mithalten, ich laufe verzweifelt, elend, eine halbe Stunde oder

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