Bahners, Patrick
Herrschaftsbereich auszudehnen. Die Muslime strebten daher danach,
überall die Bevölkerungsmehrheit zu stellen. Angesichts von Einwanderung und
Geburtenrate sei die Furcht vor der Islamisierung in der Tat begründet. Von den
Großkirchen sei «nichts weiter zu hören als politisch korrektes,
mehrheitsfähiges Empörungsgehabe». Dabei habe auch Papst Benedikt XVI. früher
vor der muslimischen Gefahr gewarnt. Dass der Heilige Stuhl gegen die Schweizer
Verfassungsänderung protestierte, deutete Kelter als Symptom der
fortgeschrittenen Islamisierung: In Wahrheit teile der Papst die Angst der
Schweizer. Den Vergleich des Minaretts mit dem Glockenturm wollte der Pfarrer
der Heilig-Geist-Gemeinde Görlitz und Herausgeber des Feste-Burg-Kalenders
nicht gelten lassen. Der Muezzin rufe nicht nur zum Gebet, sondern rufe
ausdrücklich den «islamischen Absolutheitsanspruch» aus. «Offensichtlich will
sich der Islam gerade nicht an unsere Kultur anpassen, sich nicht integrieren,
sondern seine Kultur und seine Gesellschaftsvorstellung exportieren.» Die
Gemeinde von «Politically Incorrect» feierte den Propst als kerndeutschen
Gotteskrieger von echt lutherischem Schlag, die Antwort der wahren Volkskirche
auf die falsche Bischöfin Käßmann.
Kristina Schröders permanente Betätigung der Alarmklingel
wurde belohnt: Mit dreiunddreißig Jahren wurde die Tochter eines Oberstaatsanwalts
am 30. November 2009 zur Bundesministerin ernannt. Zum hessischen
Landtagswahlkampf 2008, in dem die CDU die Angst vor kriminellen Ausländern
schürte und Zweifel an der nationalen Zuverlässigkeit der Spitzenkandidaten der
Oppositionsparteien säte, hatte die Bundestagsabgeordnete die These von der
zunehmenden Deutschenfeindlichkeit unter Einwandererkindern beigesteuert. Dieses
Thema griff sie in ihrer Funktion als Jugendministerin wieder auf, wobei sie
sich wie schon 2008 auf Forschungen des Kriminologischen Forschungsinstituts
von Christian Pfeiffer berief. Frau Schröder hat einen aus der
rechtsextremistischen Propaganda bekannten Topos auf die Tagesordnung der
Bundesregierung gesetzt. Aus Disziplinproblemen an Schulen, in denen Schüler
deutscher Muttersprache in der Minderheit sind und als Schwächere beschimpft
und schikaniert werden, wird auf eine angeblich in der jungen Generation
ausländischer Herkunft verbreitete Einstellung des Hasses auf die Deutschen geschlossen.
Dass die Deutschen nicht als Bevölkerungsteil im Sinne des
Volksverhetzungsparagraphen gelten, wird als merkwürdige Gesetzeslücke
beschrieben; das verkennt den spezifischen politischen Zweck des
strafrechtlichen Minderheitsschutzes, die Verhinderung des Umschlagens der
Volksherrschaft in Mobherrschaft. Es soll, folgt man Frau Schröder, ein Gebot
der Fairness sein, auch die andere Seite der Xenophobie in den Blick zu nehmen,
die Abneigung der Gäste gegen die Wirte. Die politische Logik der Operation
setzt freilich die Eingewanderten ins Unrecht. Wer als Deutschenfeind auf
deutschem Boden enttarnt ist, nimmt eine perverse Position ein. Er provoziert
die Frage, was er in Deutschland verloren hat. Die Ausländerfeindlichkeit wird
dagegen durch die Deutschenfeindlichkeit bis zu einem gewissen Grad
gerechtfertigt; sie offenbart, wie der Historiker Ernst Nolte formulieren
würde, ihren rationalen Kern.
Mobbing unter Schülern ist ein pädagogisches Problem und
in extremen Fällen auch ein Gegenstand für Polizei und Gerichte. Wer es unter
dem Namen Deutschenfeindlichkeit zum Thema der Politik macht, bedient eine
Stimmung, die auf eine Umkehrung der Diskussionsverhältnisse hindrängt. Es
gilt als Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit, dass zur Abwechslung und bis
auf weiteres die Rede sein soll von den Versäumnissen, Ressentiments und
Übergriffen der nichtdeutschen Seite. In den Worten von Ralph Giordano:
«Migranten haben nicht nur Probleme. Sie machen auch Probleme.» Das Buch der
verstorbenen Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, «Das Ende der Geduld»,
war der zweite gewaltige Verkaufserfolg des Sarrazin-Jahres. Die große
Öffentlichkeit versteht den Titel so, dass die von Frau Heisig an einer kleinen
Gruppe chronisch rückfälliger jugendlicher Straftäter beschriebenen
antisozialen Verhaltensformen emblematisch sind für die Lebensweise der
Ausländer in Deutschland, jedenfalls für die Muslime. Lange genug hat die
Mehrheit sich in Geduld geübt gegenüber der Minderheit; damit muss es nun ein
Ende haben. Kristina Schröder beschreibt sich selbst als
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