Bahners, Patrick
«Opfer» von
Deutschenfeindlichkeit, weil sie als Fachpolitikerin für Islam, Integration
und Extremismus unflätige Briefe erhalten hat, in denen die einschlägigen
Schimpfwörter verwendet wurden. Eine Eigentümlichkeit dieser Unterdebatte der
Integrationsdebatte ist, dass die Täter, die eine Mitschülerin oder Ministerin
als «deutsche Schlampe» beschimpfen, nicht als Türken oder Araber, sondern als
Muslime identifiziert werden. Den Islam stellt man sich als geschlossene
Herkunftswelt vor, als Abstammungsgemeinschaft der Verlierer.
Warnung wider besseres Wissen
Das Schröder-Ministerium vergab im Oktober zoio zwei
Forschungsaufträge an Wissenschaftler, die in sehr kurzer Frist die
Einstellungen muslimischer Jugendlicher zur Gewalt untersuchen sollten. Bei der
Vorstellung der beiden Studien am 2 6. November 2010 erklärte
die Ministerin: «Wir müssen offen und ohne Tabus über die Probleme in der
Integration reden, mit denen viele Menschen in ihrem Alltag konfrontiert
sind.» Worin hätte ein Tabu bestehen können? Wenn die Ministerin forderte,
etwas offen zu diskutieren, setzte sie voraus, dass es Leute gab, denen das
Thema nicht recht war. Nach zwei Sarrazin-Debatten verstand jedermann die von
Frau Schröder gebrauchten Codewörter. Eine «sachliche Grundlage für die
Diskussion» versprach sie sich von den Expertisen. «Da scheint es einen
Zusammenhang zu geben, dass eine erhöhte islamische Religiosität korreliert mit
einer erhöhten Zustimmung zu Männlichkeitsnormen, die Gewalt legitimieren.»
Hatten die neuen Untersuchungen demnach die These der KFN-Studie erhärtet? Das
Gegenteil war der Fall. Sonja Haug von der Hochschule Regensburg und Ahmet Toprak
von der Fachhochschule Dortmund konnten nicht bestätigen, dass Muslime zur
Gewaltanwendung im Alltag prädisponiert sind.
Um die Rezeption der Studien zu lenken, hatte die
Ministerin ihre Interpretation schon am Tag vor der Pressekonferenz über ihre
Heimatzeitung, den «Wiesbadener Kurier», und die Nachrichtenagenturen
verbreitet, als die Autoren nicht widersprechen und die Journalisten noch
nicht nachlesen konnten. «Soziale Benachteiligung und Diskriminierung sind
wichtige Faktoren, reichen aber nicht als Erklärung. Es gibt einen Zusammenhang
zwischen Religiosität, Machonormen und Gewaltgeneigtheit.» Toprak hat mehrere
Bücher über Gewalt und Gewaltbekämpfung in türkischen Familien verfasst. In
seiner Expertise für das Ministerium legt er dar, dass ein Ideal des
gewalttätigen Mannes, das als islamisch ausgegeben wird, für Jugendliche in
prekären sozialen Lagen attraktiv ist. Benachteiligung und Diskriminierung
sind die Bedingungen, unter denen die religiöse Verbrämung von Rohheit und
Rücksichtslosigkeit ihren Zweck, ein schwaches Ich zu stärken, erfüllen kann.
Bei höher qualifizierten Jugendlichen nimmt die Bindung an die traditionellen
Ehrvorstellungen im Geschlechterverhältnis ab, und die Bereitschaft, ihre
Durchsetzung mit Gewalt zu erzwingen, verschwindet. Frau Haug vergleicht in
ihrer Expertise Ursachenszenarien zur Jugendgewalt in Migrantenmilieus, die in
der Forschung diskutiert werden. Keiner der vorgestellten Ansätze isoliert in
der von der Ministerin nahegelegten Weise den Faktor Religion, um eine
vermeintliche Erklärungslücke zu schließen.
Kristina Schröder ist selbst promovierte
Sozialwissenschaftlerin, und sie sorgte dafür, dass sie den von ihr
beauftragten Experten mit ihrer eigenen, für die Presse formulierten Expertise
zuvorkam, die sich nicht auf Daten stützte, sondern auf die Erinnerung an die
KFN-Studie und auf den Formelvorrat der Islamdebatte. Die Wirkung des
gesprochenen Worts nach Politikerart maßlos überschätzend, stempelte sie mit
Pfeiffer die Vorbeter als Schuldige ab: «Wir müssen diejenigen in die Pflicht
nehmen, die in der muslimischen Gemeinschaft Werte prägen. Das sind in erster
Linie die Imame. Dann würde in den Moscheen bald auch ein anderes Bild der
Gesellschaft, der Rolle von Männern und Frauen und von Gewalt vermittelt.» Im
Handumdrehen ließen sich demnach aus Deutschenfeinden Deutschenfreunde machen?
Man müsste nur einmal die Imame zum Rapport bestellen? Die Pfarrer, auf deren
Sezession sich die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche zurückführt,
hatten sich vom preußischen König nicht in die staatspädagogische Pflicht
nehmen lassen. Politiker, die mit dem islamkritischen Feuer spielen, agieren in
zweifacher Weise leichtfertig, wenn sie einerseits den
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