Bahners, Patrick
fundamentalen Verhaltensnorm signalisiert, beharrt er auf einer
intakten Identität als guter Charakter, obwohl er sich objektiv Delinquenz
attestieren lassen muss.
Auf den starken Anteil des Willens am Bekenntnis, der aus
den Daten hervorgeht, gehen Pfeiffer und seine Mitautoren nicht ein. Sie
suchen die Ursache für die Gewaltaffinität der angeblich Frommen bei den
Imamen, die aus ihren Heimatländern traditionelle Vorstellungen von den
geheiligten Machtverhältnissen im Familienleben in die Moscheen trügen. Doch
wie soll von den Predigern ein solcher bestimmender Einfluss auf das
Alltagsverhalten ausgehen, wenn selbst unter den sehr religiösen Jugendlichen
nur einer von sieben jeden Freitag in die Moschee geht? Die Religiosität ist
in der KFN-Studie eine statistische Größe. Überlegungen über Formen und Inhalte
muslimischer Glaubensunterweisung fehlen. Der Autor eines Buchs über die
deutschen Imame, auf den Pfeiffer sich beruft, hat der Schuldzuweisung an die
Vorbeter widersprochen. Jugendliche, so Rauf Ceylan, die sich über das
Freitagsgebet hinaus am Gemeindeleben der Moscheen beteiligten und die dortigen
religiösen Bildungsmöglichkeiten nutzten, integrierten sich auch besser in die
bürgerliche Gesellschaft. «Aufgrund der Sozialkontrolle der Gemeinden ist
delinquentes Verhalten eingeschränkt.»
Liberale Gewaltphantasien
Der Artikel der «Süddeutschen Zeitung», der die Öffentlichkeit
mit Pfeiffers Studie bekannt machte, trug die Überschrift «Die Faust zum
Gebet». Als vergleichsweise sachlich durften nach dieser Debatteneröffnung die
Überschriften von «Berliner Zeitung», «Financial Times Deutschland» und «Bild»
gelten: «Je gläubiger, desto gewaltbereiter», «Je gläubiger, desto
gewalttätiger» und «Je gläubiger, desto brutaler». Die Schlagzeile von «Welt
online» präsentierte das vermeintliche Ergebnis der Studie als Gleichung:
«Muslime - Mehr Religiosität = Mehr Gewaltbereitschaft». Gerade liberalen
Medien gefiel ein martialischer Tonfall. Der «Tagesspiegel» titelte: «Allah
macht hart», die «taz» geradezu verächtlich: «Beten hilft nicht». Offenbar
hatte die Botschaft, in die Pfeiffer seine Studie verpackte, auch liberale
Journalisten in dem bestätigt, was sie insgeheim vom Islam dachten. Im
linksbürgerlichen Milieu ist ohnehin der Verdacht verbreitet, jede Religion sei
sozialschädlich. Nach eigenen Angaben hatte Pfeiffer seine These der Öffentlichkeit
kaum zumuten wollen. Dabei hatte jedenfalls die professionelle Öffentlichkeit
nur gewartet auf diese wissenschaftliche Beglaubigung des Vorurteils. Die
Aufdeckung der Widersprüche und methodischen Mängel der Studie überließen die
Zeitungsredaktionen den Medienbeobachtern der Internetseite Bildblog,
Leserbriefschreibern sowie der Statistikexpertin von Deutschlandradio Wissen.
Solche Aufklärungsbemühungen nahm natürlich kaum jemand zur Kenntnis. Der
Institutsdirektor verbreitete seine Interpretation der Studie weiter, in
Zeitungsartikeln und Talkshows, ohne sich vom Nachweis der Ungereimtheiten
irritieren zu lassen. Das vorgebliche Wissen über die Korrelation von Bet- und
Prügelhäufigkeit blieb in der Welt. Man kann sich das einfach zu gut merken:
Mehr Religiosität = Mehr Gewaltbereitschaft. Mit KFN-Zertifikat, dem Gütesiegel
für alle, die es zu genau nun auch wieder nicht wissen wollen, vergleichbar
dem Bio-Aufkleber im Supermarkt.
Angela Merkel sieht ein Problem
In den Tagen des Sturms der Empörung über die Behandlung
Thilo Sarrazins durch die Spitzenpolitiker wurde die Bundeskanzlerin von der
«Bild am Sonntag» befragt und mit Lesermeinungen konfrontiert. Den Hinweis
eines Lesers auf die «besonders hohe Kriminalitätsrate unter türkischen und
arabischen Jugendlichen» ergänzte der Interviewer mit einem Verweis auf das
Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Das Institut sage, 23,5
Prozent der sehr religiösen muslimischen Jugendlichen neigten zur Gewalt. In
dieser Form war die Angabe Nonsens. 23,5 Prozent der als sehr religiös
eingestuften muslimischen Fünfzehnjährigen aus der Stichprobe hatten im zurückliegenden
Jahr mindestens eine Gewalttat begangen. Wenn sich die Neigung zur Gewalt einer
so präzis zu beziffernden Gruppe zuweisen ließe, müsste man sie ja nur unter
Quarantäne stellen. Frage der «Bild am Sonntag» an die Kanzlerin: «Beunruhigt
Sie das?» Angela Merkel antwortete: «Das ist ein großes Problem, und wir können
offen darüber sprechen,
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