Bahners, Patrick
Ungeist welthistorischer
Tiefenkräfte beschwören und andererseits in Aussicht stellen, den Spuk per
Gesetz zu vertreiben. Welche Erwartungen sie im Publikum wecken, ist diesen
Zauberlehrlingen der Dämonologie wohl kaum bewusst.
Eine junge, eifrige Politikerin wie Frau Schröder mag es
sogar für ein Gebot des Berufsethos halten, eine baldige Generalüberholung der
mentalen Infrastruktur der Moscheen zuzusagen. Alle vier Jahre wird gewählt.
Aus der von Pfeiffer behaupteten Korrelation von Frömmigkeit und Gewalt
folgte, dass das Übel ausgehebelt werden konnte. Hatte Pfeiffer recht, so
wusste die Politik immerhin, was sie tun musste - auch wenn sie es in den
Schranken der herrschenden Auslegung des Artikels 4 des Grundgesetzes vielleicht nicht tun konnte. Als die vom
Ministerium eingeladenen Forscher nicht mit der Verifikation der KFN-These
dienen konnten, besann sich die Ministerin nicht auf die Warnung der
Pfarrerstochter im Kanzleramt, es führe in die Irre, Gewalt mit einer
bestimmten Religion zu verbinden. Das Thema der Gefährlichkeit des Islam
sollte auf der Tagesordnung bleiben. Daher stellte Frau Schröder ihrer
Botschaft an die Leser des «Wiesbadener Kuriers» den Imperativ des
islamkritischen Debattenmanagements voran, den sie auf der Pressekonferenz
wiederholte: «Wir dürfen hier keine falschen Tabus aufbauen.» Weg mit den
Tabus: Mit dieser Parole hatten Sarrazin und seine Jünger Platz geschaffen für
angebliche Fakten, die angeblich die Fortsetzung der Debatte erübrigten. Der
Befund des Kriminologischen Forschungsinstituts, den Frau Schröder im Gespräch
halten wollte, stellte sich im Lichte der Anschlussstudien als dubiose
Spekulation dar. Statt dieser von ihr selbst herbeigeführten Klärung Rechnung
zu tragen, rief die Ministerin dazu auf, den von Pfeiffer postulierten
Zusammenhang nicht zu tabuisieren. Eine Diskussion ohne Tabus: Das hieß in
diesem Fall, dass ein Mitglied der Bundesregierung auf dem Recht bestand, ein
Vorurteil zu verbreiten.
Walser ging voran
Sollte doch einmal der Versuch gemacht werden, eine Partei
der deutschen Islamkritiker zu gründen, die ein größeres Publikum erreicht als
die Vereine Udo Ulfkottes oder «Die Freiheit» des Berliner Lokalpolitikers
Rene Stadtkewitz, dann wird der erste Satz des Parteiprogramms verkünden:
Keine Tabus! Für «Deutschland schafft sich ab» hat Thilo Sarrazin ein Zitat von
Ferdinand Lassalle als Motto gewählt: «Alle politische Kleingeisterei besteht
in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.» Kurioserweise stellte auch
der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sein zur gleichen Zeit publiziertes
Memoirenbuch unter diesen Leitspruch. Heinz Buschkowsky zitiert das
Lassalle-Wort gerne in einer aktivistischen Variante: «Jede politische Aktion
beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist.» Wer sich der Aktion verweigert,
leugnet, was ist, macht sich der Realitätsverweigerung schuldig. Neda Kelek
konfrontierte in der «Bild»-Zeitung die von Sarrazins Tönen irritierten Leser
mit einer Alternative: «Wer die klaren Worte Sarrazins für Hetze hält, muss
sich fragen lassen, ob er die Fakten kennt oder nicht längst aufgegeben hat.»
Sie behauptete, Sarrazins Gegner, die «üblichen Verdächtigen», die Migrantenorganisationen
und «die Fraktion der Gutmenschen», stellten das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit zur Disposition: «Kritik an Religion oder Grundrechtsverletzungen
durch Migranten sollen wieder ein Tabu werden.»
Klaus von Dohnanyi, der Sarrazin anbot, ihn vor der
SPD-Schiedskommission zu verteidigen, stellte ihn als Redefreiheitskämpfer in
die Tradition Martin Walsers. Der Schriftsteller hatte 1998 in seiner Dankesrede
als Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels einen Skandal mit der These
provoziert, die fortwährende mediale Erinnerung an die Verbrechen der
Hitlerzeit diene als «jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel» der
Unterbindung der freimütigen politischen Diskussion. Dohnanyi diagnostizierte
eine fortwährende Selbstbeschränkung der deutschen Souveränität durch
informelle Zensur: «Das Verbrechen und Deutschlands große Schuld des Holocaust
haben bei uns zunächst Verdrängung und dann eine Vielzahl von Tabus (genannt
politische Korrektheit) bewirkt. Im Schatten unserer Geschichte und eines oft
allzu einseitigen Bildes unserer Selbst scheuen wir uns vor Debatten und
Worten, die bei anderen Völkern gang und gäbe sind. So aber kann eine
Gesellschaft den
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