Bahners, Patrick
Evangelischen Kirche im Rheinland und sagt, was er
sagt, gerne «auch als Christ». Als solcher und als Außenminister behandelte er
im Dezember 2009 in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»
das Schweizer Minarettverbot ebenso diplomatisch wie zehn Monate später an
gleicher Stelle Thilo Sarrazin. Er teilte mit, dass er das Ergebnis der Volksabstimmung
bedauere, und trug dennoch dafür Sorge, dass die anderen Zeitungen und die
Internetmedien die Nachricht «Westerwelle nimmt Schweiz in Schutz» verbreiten
konnten.
Westerwelle würde sich nicht wie Thomas Dehler, sein
Vorgänger im Parteivorsitz, dazu hinreißen lassen, in öffentlicher Rede zu
sagen: «Wenn ich mir ein Deutschland vorstelle, das von Prälaten und Oberkirchenräten
regiert wird, dann wird mir bange.» Im Minarett-Interview wie später in einer
Bundestagsrede zur Religionsfreiheit stellte Westerwelle im Gegenteil eine Art
ökumenisches Liebesgebot auf: Er propagierte eine Politik, die
«unterschiedliche Religionen nicht nur respektiert, sondern auch schätzt».
Respekt würde durchaus genügen. Dann müsste er von seiner Gewohnheit ablassen,
jedesmal, wenn die Rede auf den Islam kommt, die im aufgeklärten Milieu
zirkulierenden Vorurteile abzuspulen. Wie im Schweiz-Interview: «Wir brauchen
eine Politik, die Integration durch Bildung möglich macht. Aber eine
Multikulti-Politik nach der Art, dass es nicht so wichtig sei, ob jemand bei
der Einschulung Deutsch kann oder nicht, bis hin zu intellektuellen
Verirrungen, Angriffe gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau mit der
kulturellen Herkunft zu erklären oder gar zu entschuldigen, habe ich mein Leben
lang abgelehnt.» Sein Leben lang! Also auch schon im Kindergarten in
Königswinter, wahrscheinlich im Umgang mit arabischen Diplomatensöhnen.
Westerwelles Biograph Majid Sattar schreibt über die religiöse Erziehung im
Elternhaus: «Guido, bis heute Mitglied der Kirche, saugt sich die Werte aus
dem Kanon, die er mit seinem Leben vereinbaren kann.» Christlich-jüdisch sieht
die Wurzel unseres Rechtsstaats von dem Ast aus, auf dem er sitzt.
Gespensterdebatte um die Leitkultur
Teil der Wirklichkeit: Die von Bosbach und Westerwelle
verwendete Variante beraubt Schäubles Formel vom Islam als Teil Deutschlands
des Hintersinns. Das unübersichtliche und vitale Ganze namens Deutschland wird
auseinandergerissen in die niedere Sphäre der wertlosen Wirklichkeit und die
höhere Sphäre der überwirklichen Werte. Der Islam ist Teil der
gesellschaftlichen Realität Deutschlands wie Casting-Shows, Steuersparmodelle
und Suchtkrankheiten in Führungsetagen. Aber mit unserer Tradition hat er
nichts gemein. Schäuble hatte in weiser Zurückhaltung Überschneidungen nicht
ausgeschlossen. Er weiß, dass die Religionsgeschichte ein Teppich der
Parallelentwicklungen, Verschlungenheiten und Anverwandlungen ist. Und es ist
nicht seine Art, aus vergangenen Leistungen Ansprüche auf einen Ehrenvorrang
abzuleiten, der von der Bewährung in der täglichen Arbeit entlastet. Nur von
der lebendigen Tradition geht der Anreiz zur Mimikry aus, nicht vom Schaubild
auf der Wertetafel. Schäubles gelassener Optimismus wich bei seinen
Politikerkollegen im Sturm der Sarrazin-Debatte einem dogmatischen Kleinmut.
Die Muslime wurden wieder zu Fremden gestempelt, die wirklich hier sind, aber
nur zufällig und deshalb in einen Nachhilfekurs in christlicher
Staatsbürgerkunde geschickt werden müssen. Auch Bildungsministerin Annette
Schavan bekräftigte Schäubles Devise nur zum Schein, als sie die ihr vom
«Tagesspiegel» vorgelegte Frage verneinte, ob etwas falsch sei an der Aussage,
der Islam sei ein Teil Deutschlands. In ihren eigenen Worten brachte sie nur
die positivistisch trivialisierte Version über die Lippen: «Der Islam ist Teil
der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland.» Und sie setzte hinzu: «Gesellschaftliche
Wirklichkeit ist etwas anderes als die Frage nach den Kultur prägenden
Kräften.» Die kulturprägenden Kräfte erreichen den muslimischen Teil der
deutschen Gesellschaft wie das Raumschiff den Mond und die Missionare die
Indianer, von oben und von außen.
Seit einem Jahrzehnt wird die deutsche Öffentlichkeit
regelmäßig von Reprisen der Leitkultur-Debatte heimgesucht. Dass auch beim
letzten Mal nichts herausgekommen ist, wirkt immer noch nicht ernüchternd,
sondern muss im Gegenteil dazu herhalten, die Dringlichkeit des Projekts zu
beweisen. Das Vulgäre des Begriffs
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