Bahners, Patrick
Erfahrungen,
insbesondere was die Behandlung der Juden durch die Christen betrifft. Und wenn
Sie einen Philosophen der Antike zitieren wollen, dann erinnern Sie sich daran,
dass die Stadtstaaten des Altertums Staatsreligionen hatten und der eigentliche
Gegenstand der Verehrung der Staat selbst war. Das wollen wir in Deutschland
nicht.» Wenn die Politiker meinen, die Wunschbilder eines Deutschland ohne
Muslime würden schon wieder verfliegen, wenn nur weiterhin hierzulande kein
großer Terroranschlag geschehe und irgendwann die Imamausbildung an hiesigen
Universitäten beginne, dann nehmen sie die Bürger nicht ernst. Wo Ernstnehmen
bedeutet, Vorurteile stehenzulassen, schwelen zu lassen, wuchern zu lassen, da
schließt sich ein rhetorischer Teufelskreis: Die Politiker beteiligen sich am
Aufwiegeln, um abzuwiegeln, aus Angst vor der Angst.
KAPITEL 2
Notizen aus der Provinz. Die Globalisierung
des Hasses
Die Zeitung hat es ausposaunet. Gespräche
für Freimaurer; Erstes Gespräch
Die Islamkritik ist global und provinziell zugleich. Ihre
Sätze bilden einen Code, der universell verwendbar und benutzerfreundlich ist.
Amerikanische Staatsmänner bestreiten mit den Elementarsätzen welthistorische Vorlesungen,
französische Starphilosophen bebildern mit ihnen eine sophistische Ethik. Dem
Islamkritiker macht es nichts aus, wenn er zeitweise allein auf weiter Flur zu
stehen scheint und man ihn vielleicht sogar belächelt, weil er auf den Islam in
gleicher Weise fixiert ist wie dieser angeblich auf die Welteroberung. Er hat
nur ein Thema, aber das Thema ist groß genug. Die Gleichgültigkeit weiter Teile
der Gesellschaft bestätigt das islamkritische Weltbild: Es macht den Islam so
gefährlich, dass seine Gefährlichkeit verkannt wird. Gleichzeitig darf sich der
Islamkritiker als Aktivist einer weltumspannenden Bewegung fühlen. Der
Antidschihadismus hat seine Helden und vor allem Heldinnen wie Ayaan Hirsi Ali,
deren Verehrer überall vermutet werden, wo es Internetanschlüsse gibt.
Islamkritiker bleiben gerne unter sich. Aber sie kommen herum. Wer eine
Geschichte der islamkritischen Agitation schreiben wollte, ihrer Hauptgedanken
und Hauptfiguren, könnte sich auf Quellen aus der Stadt Wetzlar im
mittelhessischen Lahn-Dill-Kreis beschränken.
Im November 2.010 gab der hessische Ministerpräsident
Volker Bouffier der «Frankfurter Rundschau» ein Interview. Auf die Standardfrage,
wie er zu Wulffs Satz über den Islam stehe, gab Bouffier die Standardantwort:
Er wiederholte die Schäuble-Formel in der entkernten
Bosbach-Westerwelle-Variante. «Der Islam ist Teil unserer Realität, ganz
sicherlich. Er ist nicht die Grundlage unseres Landes.» Der aus Gießen
(Ausländeranteil 12,7 Prozent) gebürtige Ministerpräsident setzte die
Andeutung hinzu, dass soziale Tatsachen, die vor Augen liegen, Wünschbarkeiten
eine Grenze ziehen. «Es gibt Gebiete, da ist er wenig spürbar und augenfällig.
Und es gibt Gebiete, da ist er deutlich auch im Stadtbild erkennbar.»
Vernünftigerweise verweigerte Bouffier eine direkte Antwort auf die Frage, ob
er diese Präsenz des Islam - wie irgendeine bei Facebook bekanntgemachte
Lappalie - gut finde. «Es ist eine Realität und eine Herausforderung. Man muss
das nicht bejubeln.» Wenn der realpolitische Ansatz mit einer solchen robusten
Nüchternheit vertreten wird, schafft er keine bedrängende Stimmung. Die
Landesregierung muss das Vordringen des Islam in den Großstädten wirklich nicht
bejubeln - wie es auch nicht angezeigt wäre, einen vom Bischöflichen Ordinariat
in Limburg bekanntgegebenen Rückgang der Kirchenaustrittszahlen mit einer
Pressemitteilung der Staatskanzlei zu feiern. Und wenn eine Gemeinde erweckter
Christen ein Anwesen in einer hessischen Kleinstadt erwerben sollte und die
Gemeinde dann über die Jahre wachsen würde, durch Zuzug, die eine oder andere
Konversion und den typischen Kinderreichtum frommer Familien, dann hätte das
von einer gewissen Größe der Gemeinde an Auswirkungen auf das Erscheinungsbild
der Stadt, dann würde die Stadt vielleicht weniger attraktiv als Standort für
Trinkhallen und Discotheken, dann könnte sich die Schulbehörde veranlasst
sehen, auf die Einhaltung der Schulpflicht achtzugeben und andererseits an hohen
Festtagen Befreiungen vom Unterricht auszusprechen - und dann wäre das eine
Herausforderung für den Bürgermeister.
Bouffier wurde dann noch nach seinem Fraktionskollegen
Hans-Jürgen Irmer gefragt. Teile er dessen
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