Bahners, Patrick
stütze mich in meinen
Ausführungen auf empirische Erhebungen, argumentiere aber direkt und
schnörkellos. Es geht mir vor allem um Klarheit und Genauigkeit, die Zeichnung
ist daher kräftig, nicht unentschlossen oder krakelig. Ich habe darauf
verzichtet, heikel erscheinende Sachverhalte mit Wortgirlanden zu umkränzen,
mich jedoch um Sachlichkeit bemüht - die Ergebnisse sind anstößig genug.» Wer
mit dem Kompostieren von Wortgirlanden den Goldenen Blumentopf des Verbands
der Sprachmüllentsorger gewinnen will, darf sich nicht mit Angela Merkel
anlegen. Nicht weiterführend, nicht hilfreich: Mit der Sprödigkeit solcher
Standardformeln der Gremienarbeit überbot und entzauberte sie den in die eigene
Plumpheit vernarrten Schnörkelverächter. Dass der Volkswirt für sein Szenario
des genetischen Bankrotts die Autorität der Naturwissenschaft in Anspruch nahm,
muss die Physikerin besonders irritiert haben. So scheute sie sich nicht, den
Propheten der Verdummung beim Intelligenztest durchfallen zu lassen: Solche
Pauschalurteile sind dumm - beim besonders groben Klotz ist der passgenau grobe
Keil ein Zeichen von feinem Humor.
Für potentielle Sarrazin-Fans unter den Lesern der «Bild
am Sonntag» lieferte die Kanzlerin eine Regierungserklärung im Kompaktformat
mit: «Es ist richtig, dass die Bildungsabschlüsse von Schülern mit
Migrationshintergrund verbessert werden müssen und der wichtigste Schlüssel
dabei die Beherrschung der deutschen Sprache ist. Aber wenn wir genau das
fördern und fordern, dann haben diejenigen, die zu uns kommen und in unserem
Land leben wollen, große Chancen und bereichern uns alle.» Die Zeitung fasste
ihre eigene Bewertung von Sarrazins Darmstädter Auftritt in einem in Versalien
gesetzten Satz zusammen: «SARRAZIN LÄSST DAS PÖBELN NICHT!» Drei Monate später
war aus dem «Pöbel-Thilo» der «Bild» beziehungsweise dem «Pöbel-Sarrazin» der
«Bild am Sonntag» der Autor der großen «Bild»-Serie geworden. So schnell kann
eine verkorkste Bildungsbiographie sich drehen!
Die Sarrazin-Kritiker in der hohen Politik bildeten eine
denkbar große Koalition. Sie schloss sowohl Roland Koch ein, den Veteranen
zweier Wahlkämpfe der ausländerpolitischen Mobilmachung, als auch Kochs
Nachfolger auf der Planstelle des konservativen Hoffnungsträgers, Karl Theodor
zu Guttenberg, der sich in seinen Wahlkampfreden als Mann des herrlich freien
Wortes zu empfehlen liebt.
Die Flutwelle des Zuspruchs für Sarrazin, die sich in die
Leserbriefspalten der Zeitungen und die Elektropostfächer der Parteien ergoss,
war ein Schock für die vereinigten Sachwalter der Staatsräson. Als die
Verkaufszahlen des Buchs in die Höhe schossen, ergänzten einige Politiker ihre
kritischen Einlassungen, um eine diskrete Unwertberichtigung vorzunehmen.
Unbekümmert ging Guido Westerwelle ans Verwischen seiner aktenkundigen Spuren.
Ihm gelang es, Mitte Oktober die Schlagzeile «Westerwelle nimmt Sarrazin in
Schutz» zu provozieren, obwohl der Bundesbankvorstand das Ersuchen um
Sarrazins Entlassung auf die öffentlich vorgetragene Einschätzung des Außenministers
gestützt hatte, Sarrazin habe dem deutschen Ansehen geschadet. Im Gespräch mit
der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» beteuerte der FDP-Vorsitzende: «Ich
gehöre nicht zu denjenigen, die das Buch verdammt haben. Ich habe bei der
Eröffnung der Frankfurter Buchmesse darauf hingewiesen, dass die
Meinungsfreiheit in Deutschland auch sehr kontroverse Bücher ertragen muss. Ich
selbst habe nicht das Buch, sondern eine Aussage von Herrn Sarrazin zurückgewiesen,
die dieser in einem Interview geäußert hat. Darin hat er sich über die Genetik
von Juden und Basken ausgelassen.»
Wer drei Sätze nacheinander mit dem Wort «ich» beginnt,
muss sich seiner Sache sehr sicher sein. Westerwelles Behauptung, er habe das
Buch nicht verworfen, ist trotzdem falsch. Der unmittelbare Anlass für seinen
in der «Bild am Sonntag» vom 29. August zitierten Satz «Wortmeldungen, die Rassismus
oder gar Antisemitismus Vorschub leisten, haben in der politischen Diskussion
nichts zu suchen.» war zwar in der Tat, dass man ihn mit der Aussage Sarrazins
gegenüber dem Schwesterblatt «Welt am Sonntag» konfrontiert hatte, alle Juden
teilten ein bestimmtes Gen. Eine Woche später äußerte sich Westerwelle
seinerseits in der «Welt am Sonntag»: «Wir brauchen in unserem Land eine
lebendige Streitkultur. Aber mit der Einführung eines Biologismus in die
politische Diskussion hat
Weitere Kostenlose Bücher