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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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der Autor eine rote Linie überschritten.» Diese
Grenze, so Westerwelle weiter, markiere indes nicht das Buch selbst mit seinen
teilweise verletzenden Thesen, «sondern der Gen-Unsinn». Spöttisch verneinte
er die Frage, ob er das Buch gelesen habe: «Ich lege mir vor allem schöngeistige
Bücher auf den Nachttisch.» Einen Monat später, auf der Buchmesse in Anwesenheit
der Präsidentin von Argentinien, hörte sich das ganz anders an:
    «Gerade kontroverse Bücher muss die Meinungsfreiheit
aushalten. Ein Buch kann so sehr verstören, dass viele es gar nicht mehr lesen
wollen. Und so manches Buch wird entzaubert, wenn man es nur liest.» Manches
Buch, müssen wir schließen, wird durch eine Million Käuferhände
wiederverzaubert, auch wenn man es selbst nicht gelesen hat.
    Gegenüber dem «Wiesbadener Kurier» hatte Westerwelle schon
am 8. September die Wendung gebraucht, «ein solches Buch» müsse «Deutschland
aushalten». Das war eine Nebelkerze: Niemand, auf den gehört wird, hatte ein
Verbot des Buchs gefordert. Westerwelle wiederholte in diesem Interview auch
die Formel von der roten Linie, die Sarrazin mit seinen «Äußerungen zu den
besonderen Genen von Juden und Basken» hinter sich gelassen habe. In seiner
ersten ausführlichen Einlassung zu Sarrazin, in einem Interview, das der
«General-Anzeiger» seiner Bonner Heimat am 30. August publizierte, hatte sich
Westerwelle keineswegs nur auf den Interview-Satz zu Juden und Basken bezogen.
«An den Wortmeldungen von Herrn Sarrazin gefällt mir vor allem nicht, dass er
Kindern aus Ausländerfamilien generell mangelnden Bildungswillen unterstellt.
Bei allen Schwierigkeiten - ich erlebe in vielen Einwandererfamilien das
glatte Gegenteil. Entscheidend für die Integration ist, dass die deutsche
Sprache gelernt wird.» Westerwelle missfiel also der Tenor der Kampagne für
«Deutschland schafft sich ab», von den Vorabdrucken bis zu den mündlichen
Selbstkommentaren des Autors. Er nahm die Einladung des Interviewers an, «zu
einem derartigen verbalen Umgang mit Bürgern ausländischer Herkunft»
ausdrücklich als Außenminister Stellung zu nehmen. «Herr Sarrazin leitet Wasser
auf die Mühlen des Rassismus und des Antisemitismus. Das ist vollständig
inakzeptabel.» Im Spektrum der scharfen Kommentare aus der Bundesregierung
bezog Westerwelle damit eine extreme Position. Er klassifizierte die
vererbungstheoretisch begründete integrationspolitische Argumentation
Sarrazins durchaus plausibel als Futter für Rassisten. Nachdem im März 2o1o das
Schiedsgericht im Parteiordnungsverfahren der SPD Sarrazin gegen den Vorwurf
des Rassismus in Schutz genommen hatte, vermieden die meisten Politiker in der
Auseinandersetzung um das Buch das R-Wort. Es dominierte die Diskussion am
linken Rand und in der türkischen Presse.
    Mit seinem Wort von der roten Linie hatte Westerwelle
etwas sehr Richtiges gesagt, das er allerdings offenbar selbst nicht richtig
verstand. Die Vermutung, gegenüber der «Welt am Sonntag» habe sich der
Antisemit in Sarrazin verraten, war von vornherein wenig plausibel. Im
«Lettre»-Interview hatte Sarrazin die Juden schon einmal angeführt, um für
eine Bevölkerungspolitik auf erbbiologischer Grundlage zu werben - mit
emphatisch philosemitischer Perspektive. Zu Sarrazins Entlastung wurde auf zwei
neueste Studien in angesehenen naturwissenschaftlichen Zeitschriften
hingewiesen, die die gemeinsame Abstammung der aschkenasischen und der
sephardischen Juden nachzuweisen versuchen. Das politische Interesse an diesen
Forschungen ergibt sich aus der Frage nach der historischen Legitimität des
Staates Israel. In antizionistischer Absicht hat der Althistoriker Shlomo Sand
in seinem auch ins Deutsche übersetzten Buch «Die Erfindung des jüdischen
Volkes» die Behauptung aufgestellt, das Judentum in den Provinzen des Römischen
Reiches sei durch Übertritte entstanden, die Diasporajuden seien nicht die
Nachkommen der von Kaiser Titus besiegten Juden. Auch wenn sich zeigen lässt,
dass die jahrhundertelange Isolation jüdischer Gemeinschaften die Vererbung bestimmter
Krankheiten begünstigt hat, folgt daraus nicht, dass die nicht konvertierten
Juden ein einzelnes Gen teilen. Sarrazins Aussage ist und bleibt falsch, und
als nicht falsch könnte man sie allenfalls dann betrachten, wenn man sie im
übertragenen Sinne verstehen wollte. Das «bestimmte Gen» wäre dem Augenschein
entgegen dann ein unbestimmter Ausdruck, ein Bild für die prägende Kraft

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