Bahners, Patrick
Befremden und Abwehr stoßen.»
Soweit Kandels Botschaft an die Muslime. Die Mehrheitsgesellschaft erfährt aus
dem Mund des vielgefragten Islamexperten, dass es sie schon befremden muss,
wenn es in Moscheevereinen Interna gibt - wie in jedem Verein. «Weil wir nicht
erfahren, was hinter verschlossenen Türen tatsächlich gesprochen wird, wächst
natürlich auch das Misstrauen gegen Muslime.»
Die Repräsentanten der muslimischen Verbände «nutzen» laut
Kandel «öffentliche Auftritte zur Selbstinszenierung und Verharmlosung des
Islam». Bischöfe und Politiker sind dagegen in der Öffentlichkeit die Demut
selbst - und die Broschüre «Klarheit und gute Nachbarschaft» war wohl der erste
Zug einer geheim gehaltenen Selbstkritikoffensive der EKD! Mit seiner pauschalen
Funktionärsschelte gibt Kandel dem von Autoren wie Raddatz in die Welt gesetzten
Verdacht Nahrung, die Verbände seien islamistische Tarnorganisationen.
Islamistische Gruppen «instrumentalisieren den Dialog nur für ihre Zwecke, um
sich selbst positiv darzustellen, wollen aber insgeheim die Islamisierung
Europas» - so Kandel in einem Interview, das man in einem 2009 in zweiter
Auflage erschienenen Taschenbuch in der «WerteBibliothek» des Christlichen
Medienverbundes KEP findet. Titel: «Die schleichende Islamisierung? Beiträge,
Fakten und Hintergründe», Titelbild: die aufgehende Sonne hinter zwei
Moscheekuppeln. Im gleichen Band geißelt Udo Ulfkotte selbstvergessene Repräsentanten
des Okzidents, die nicht erkennen wollten, dass in der Geschichte der
Beziehungen von Christenheit und Islam die Bereitschaft zum Dialog nur auf
christlicher Seite vorhanden gewesen sei.
«Islamisten haben deshalb leichtes Spiel in Europa, können
in einer ihre Täuschungstaktiken nicht durchschauenden Masse unerkannt mitschwimmen.»
Massenverhaftungen wären laut Ulfkotte nötig und auch möglich, gibt es doch
nach den Erkenntnissen dieses Intimus der Schlapphüte nicht nur im
Bundeskriminalamt «ganze Schrankwände voller Berichte über Islamisten in
Deutschland». Der Zugriff unterbleibe, weil in der Zeit der Sozialreformen
niemand «neue Baustellen aufmachen» wolle.
Andere Beiträger des Bandes rügen das «Einknicken aus
Respekt vor Minderheiten», die «falsche Zurückhaltung gegenüber den Bestrebungen
radikaler Muslime» und das «mittägliche Aufsagen progressiver Klischees in den
Kantinen deutscher Verlags- oder Funkhäuser». In dieser Gesellschaft nimmt
sich CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, Mitglied des Rates der EKD, merkwürdig
aus. Oder doch nicht? Gröhe verteidigt die «Handreichung» als «Klartext» und
berichtet, dass Bischof Huber auf dem Kölner Kirchentag 2007 für seine an der
«Handreichung» orientierten Ausführungen «immer wieder großen Applaus erhielt
- gerade, wenn er Klartext sprach». Dem Berufspolitiker mag nicht bewusst sein,
dass die Vokabel «Klartext» im Zusammenhang der Islamkritik eine Chiffre ist.
Wer von Raddatz und Ulfkotte Klartext zu reden lernt, gewöhnt sich den «Respekt
vor anderen Auffassungen» ab, den Gröhe pflichtgemäß bekräftigt. Im
Literaturverzeichnis von «Die schleichende Islamisierung?» stehen drei Bücher
von Tibi, ein Buch von Ulfkotte mit Vorwort von Tibi, drei Bücher von Raddatz,
drei Bücher des britisch-amerikanischen Historikers Bernard Lewis, «Die fremde
Braut» von Neda Kelek, Samuel Huntingtons «Kampf der Kulturen» und «Hurra, wir
kapitulieren» von Henryk M. Broder.
Der doppelte Henryk M. Broder
Der «Spiegel»-Autor Broder ist der wichtigste Vermittler
zwischen den Sonderwelten der Islamkritik und der allgemeinen Öffentlichkeit.
Der Betreiber des Blogs «Die Achse des Guten» ist ein Stratege des
Meinungskampfes, der sich selbst in die Schlacht wirft und mit den Exzessen
seines unermüdlichen Wortwitzes Bewunderung auf sich zieht wie ein
Extremsportler. Durch seine Hingabe an den Krawall entsteht der Eindruck, er
nehme sich nicht zu ernst. Seinen Überspitzungen wird eine zweigeteilte
Rezeption zuteil. Als Berserker der reinen, inkorrekten, hässlichen Wahrheit
ist Broder das Idol in den Schattenboxclubs der Bloggerszene. Ein urbanes
Publikum goutiert die artistischen Volten der maßlosen Polemik als symbolische
Übersprungshandlungen einer zeitgemäßen Liberalität. «Ich halte Toleranz für
keine Tugend, sondern für eine Schwäche - und Intoleranz für ein Gebot der
Stunde.» Die Umwertung aller Werte ist ein bewährtes Verfahren der Aphoristik.
Mit Paradoxien
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