Bahners, Patrick
werden konventionelle Begriffe von Gut und Böse attackiert.
Aber soll die Moral dadurch über sich aufgeklärt werden? Oder soll sie weichen?
Im November 2009 las Broder aus seinem Traktat zur
Toleranzkritik in der Universität Bielefeld, auf Einladung der Liberalen Hochschulgruppe
(LHG). Im Bericht des Schatzmeisters der FDP-Studenten heißt es, Broder habe
den vollbesetzten Hörsaal nicht zuletzt aufgrund der «humorvollen und direkten
Art» für sich eingenommen, mit der er den Einwänden begegnet sei, die einzelne
muslimische Zuhörer vorgebracht hätten. An den «zum Teil euphorischen
Beifallsbekundungen» war abzulesen, dass «die breite Masse an diesem Abend»
dem Redner weitestgehend zustimmte, «wohl wissend, dass Herr Broder in
Tradition anderer Autoren der Geschichte lediglich Probleme aufzeigen möchte
und keine Lösungen anbieten will». Diese Angebote kommen dann von anderer
Seite, Broder erhöht lediglich die Nachfrage. Ein Foto, das Broder im Kreis
seiner Gastgeber vor der Tafel des Hörsaals zeigt, schmückt die Startseite des
Internetauftritts der LHG Bielefeld. Auf der Tafel steht in riesigen
Großbuchstaben mit Ausrufezeichen das Wort «Toleranz».
«Heute bedeutet eine Art
Freifahrtschein für alle Fälle. Wer einen hat,
der braucht nur noch in ganz extremen Fällen einen Anwalt, zum Beispiel wenn er
einen Filmemacher auf offener Straße abschlachtet.» In diesem Witz des
Börne-Preisträgers sitzt jedes Wort, das «zum Beispiel», das beiläufig die
Pointe einleitet, das «ganz», die Übertreibung der Übertreibung als scheinbares
Fiktionssignal, und natürlich das drastische letzte. In schwerfälliger Prosa
schrieb Hans-Peter Raddatz in der Wochenzeitung «Junge Freiheit» 1997
dasselbe: Durch Zusammenwirken von Politik, Justiz und Medien habe sich «eine
Praxis der allgemeinen Privilegierung des Ausländers in Deutschland
herausgebildet». Der Aufsatz trug die Überschrift «Der Islam in der Diaspora -
Die neue Herrenklasse in Europa: Zugeständnisse westlicher Instanzen werden
als Schwäche ausgelegt». Bisweilen gelingt es Raddatz, alle Umständlichkeit
abzustreifen und so pointiert zu formulieren wie Broder. Dessen vielzitierte
Beobachtung, dass nicht alle Muslime Terroristen, aber fast alle Terroristen
Muslime seien, findet ihre Erklärung in einem von Raddatz auf den Punkt
gebrachten Gesetz: «Vereinfacht lässt sich sagen, der Christ missbraucht seine
Religion, wenn er Gewalt anwendet, der Muslim missbraucht seine Religion ebenso,
wenn er Gewalt nicht anwendet.» Hier erzwingt die Logik eine Eleganz, die man
dem Autor nicht zugetraut hätte. Die apokalyptische Antithetik schafft klare
Verhältnisse, selbst unter den trüben Gedanken eines Hans-Peter Raddatz.
Die Päpste, die Freimaurer und die Muslime
Johannes Kandels Polemik gegen den «angeblichen Glauben an
den einen Gott» ist die weiche Variante der von Raddatz vertretenen Lehre,
dass Gott und Allah Widersacher seien. Das Buch, dessen auf den ersten Blick
leicht kryptischer Titel diese Doktrin voraussetzt, «Von Gott zu Allah?»,
erschien 2002 und damit nach dem Urteil des Historikers Arnulf Baring «zur
rechten Zeit». Nach dem 11. September 2001 könne keine Lektüre dringender sein,
befand der Emeritus der Freien Universität Berlin. «Mit großer Eindringlichkeit
stellt Raddatz die Frage, ob wir die Herausforderung, die von einem kämpfenden
Islam ausgeht, überhaupt begriffen haben.» Baring ist kein Fachmann für die
Geschichte des Islam, und es ist nicht leicht anzugeben, wofür er überhaupt
Fachmann ist, jenseits der Geschichte Adenauers. Aber er sollte so viel
Kirchengeschichte kennen, dass er stutzig hätte werden müssen, als er in «Von
Gott zu Allah?» las, der «theosophisch konditionierte Papst Karol Wojtyla» habe
an die Stelle der Katholischen Kirche die Mischreligion «Chrislam» gesetzt.
1986 und 2002 hatte Johannes Paul II. hohe Geistliche verschiedener Religionen
zu Weltgebetstagen nach Assisi eingeladen. Obwohl die Teilnehmer in der
Grabeskirche des heiligen Franziskus kein gemeinsames Gebet sprachen, sondern
lediglich ehrfürchtige Stille wahrten, während sie nacheinander ihre jeweiligen
Gebetsformeln vortrugen, wurde dem Papst in traditionalistischen Kirchenkreisen
vorgeworfen, den Synkretismus zu befördern. Schon im Studium hatte sich
Wojtyla laut Raddatz in die häretische Geheimlehre der Theosophie einweihen
lassen. Als Papst vollendete er in
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