Bahners, Patrick
sie betrogen werden.
Der paranoide Stil
Raddatz, der der antimodernen Geschlossenheit der
vorkonziliaren Papstkirche nachtrauert, scheut sich nicht, den Kirchenkritiker
Eugen Drewermann anzuführen, um den römischen Herrschaftsapparat zu
denunzieren. Der «Amtsterror» führe zur «pathologischen Infantilisierung» der
Gläubigen. Die Katholiken seien heute «entmündigte Massen» - wie die Muslime.
Die Islamkritik liefert einer Verachtung als volksfern abgestempelter Eliten
Stoff, wie man sie von der amerikanischen Rechten kennt. Teilweise werden
diese Motive aus Amerika importiert: Es gibt eine islamkritische
Internationale. Und mit dem anti-elitären Affekt breitet sich aus, was der
amerikanische Historiker Richard Hofstadter den «paranoiden Stil» des
politischen Denkens genannt hat.
In seinem Aufsatz «The Paranoid Style in American
Politics» beschrieb Hofstadter 1964 das Phänomen, dass vernünftige, normale
Menschen wie Paranoiker denken, wenn es um die Politik geht: Sie sehen überall
Feinde, sie wähnen ihre Zivilisation unterwandert, sie wappnen sich für den
Endkampf gegen die Agenten einer Weltverschwörung. Der Antikommunismus des
Senators Joseph McCarthy ist der Typus einer Weltsicht, den Hofstadter in der
Finanzmarktkritik des Populismus um 1900 wiederfindet, im
einwandererfeindlichen Antikatholizismus und in den Kampagnen gegen die
Freimaurer in der Frühzeit der Republik. Als Geheimgesellschaft wurden die Freimaurer
verdächtigt, eine Gegenregierung zu bilden; schon die Mitgliedschaft in einer
Loge erfüllte in der Sicht der eifrigsten Verfechter des Prinzips der
öffentlichen Politik den Tatbestand des Hochverrats. Da Freimaurer Netzwerke
der wechselseitigen Hilfe knüpften, wurde ihnen vorgeworfen, die auf dem
Gleichheitsprinzip basierende Rechtsanwendung zu sabotieren. Zeitungen
unterdrückten angeblich Berichte über freimaurerische Umtriebe, weil die
Maurer die Verleger unter die Eingeweihten aufgenommen hatten. Der
protestantische Nationalismus beschrieb die Religion der Papisten als Gefahr
für die amerikanischen Sitten. In den Greuelgeschichten aus Nonnenklöstern
waren Unterdrückung der Frau und sexuelle Libertinage zwei Seiten einer
päpstlichen Medaille. «Der Antikatholizismus ist seit jeher die Pornographie
des Puritaners gewesen.»
Wie die Mitglieder apokalyptischer Sekten lebt der
politische Paranoiker in der Naherwartung des Weltuntergangs, den er manchmal
datiert. «Er hat es zu tun mit Leben und Tod ganzer Welten, ganzer politischer
Ordnungen, ganzer Systeme menschlicher Werte. Er ist immer damit beschäftigt,
die letzte Barrikade der Kultur zu bauen. Er lebt ständig an einem Wendepunkt.»
Zur prosaischen Welt der alltäglichen Politik kann er in kein Verhältnis
treten. «Als Mitglied einer Avantgarde, die die Verschwörung zu erkennen in der
Lage ist, bevor sie für das ahnungslose Publikum offenkundig wird, ist der Paranoiker
ein militanter Führer. Er sieht den gesellschaftlichen Konflikt nicht wie ein
arbeitender Politiker als Sphäre der Vermittlung und des Kompromisses. Da es
immer um einen Konflikt zwischen dem absoluten Bösen und dem absoluten Guten
geht, ist der Wille notwendig, die Sache bis zum Ende durchzufechten. Und da
man sich den Feind als total böse und gänzlich unzugänglich für alle
Beschwichtigungsversuche vorstellt, muss er total eliminiert werden - wenn er
nicht vom Erdboden entfernt wird oder jedenfalls von dem Schauplatz, auf den
der Paranoiker seine Aufmerksamkeit richtet. Diese Forderung nach dem totalen
Triumph führt zur Formulierung hoffnungslos unrealistischer Ziele, und da
diese Ziele auch nicht entfernt erreichbar sind, steigert das Scheitern
fortwährend die Frustration des Paranoikers.» Der Kronzeuge des Paranoikers ist
der Renegat, der die Geheimpläne der Gegenseite offenbaren kann: der ehemals
hochgestellte Freimaurer, der entlaufene Priester, der geläuterte Kommunist.
Hofstadter schreibt dem Seitenwechsler eine «eschatologische Bedeutung» für den
Paranoiker zu: Er beweist, dass Konversionen auch in der Gegenrichtung möglich
sind.
Expertenkarrieren
Die «Mainstream-Medien» sind die besten Freunde der
Islamkritik. Sie führen Autoren wie Raddatz in ihren Expertenkarteien und
bitten sie um Statements, wenn Debatten zu inszenieren sind. Die ideologischen
Motive der Hobbyforscher und Hilfsverfassungsschützer werden beim Transport
ihrer Thesen in den allgemeinen Meinungskreislauf unsichtbar, weil
Journalisten
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