Bahners, Patrick
Auseinandersetzung mit der
katholischen Kirche kompensiert Hubers Ökumene der Profilierung einen gewissen
Abfall der geistigen Binnenspannung des Protestantismus durch aggressive
Außendarstellung. Auf ein Gegenbild stößt man bei Klaus Berger. Der
katholische Neutestamentier, früher Kollege Hubers an der Evangelisch-Theologischen
Fakultät der Universität Heidelberg, veröffentlichte im «Focus» eine Antwort
auf die Kritik des Bischofs von Limburg am Bundespräsidenten. Berger erzählt
von dem 1996 ermordeten Trappistenprior von Tibhirine in Algerien, der in einer
Nacht des Jahres 1994 stundenlang mit einem Muslim auf dem Boden liegend gemeinsam
betete. «Diese eindrückliche Szene ist ein wahrhaftiges Lehrstück nicht nur
über Toleranz, sondern über wirkliche Annäherung getrennter Religionen vor dem
Angesicht Gottes.» Haben die beiden Beter den Anspruch beider Religionen,
Gottes Offenbarung zu bezeugen, nicht ernst genommen? Nach Berger ist das
Gegenteil richtig: «Der Streit ist jeweils genauso hart wie der Fußboden, auf
dem man gemeinsam betet.» Das gemeinsame Bekenntnis der Monotheisten «lässt
allen Dissens um so schärfer hervortreten und provoziert» in Bergers kühner
Vision «förmlich zum Friedenmachen».
Wie das Ressentiment respektabel wird
Die Behauptungen der Islamkritik haben den Weg in die gute
Gesellschaft und in die republikanische Öffentlichkeit gefunden, sind salonfähig
geworden, agorafähig und fernsehtauglich. Wie ist der Widerstand überwunden
worden, den der Alltagsverstand, die instinktive Liberalität des
mitbürgerlichen Daseins, den schrecklichen Vereinfachungen entgegensetzen
müsste? Eine wichtige Rolle spielen Vermittlerfiguren, die zwischen den
kleinen Zirkeln der Entschiedenen und den diffusen Sphären der sporadisch
Interessierten und punktuell Mobilisierbaren hin und her wechseln. Nicht zu
unterschätzen in ihrem Beitrag zur öffentlichen Kategorienbildung sind die
Einrichtungen der politischen Bildung mit ihrer Nähe zu den Großinstitutionen
der Parteien, Kirchen und Verbände. Wer in dieser halböffentlichen Welt
hauptberuflich Tagungen organisiert und Sammelbände komponiert, hat zumal bei
Themen, für die es wenige Experten gibt, erhebliche Spielräume. Ein Gatekeeper,
der islamkritische Perspektiven in die politische und mediale Kommunikation
einspeist, ist der bei der Friedrich-Ebert-Stiftung angestellte Historiker
Johannes Kandel, einer der Autoren von Hubers «Handreichung». Kandel leitet bei
der Ebert-Stiftung die Organisationseinheit «Interkultureller Dialog»,
profiliert sich publizistisch aber mit Warnungen vor den Selbsttäuschungen des quasi
professionell betriebenen Dialogs. Die Übergänge zur Dauerpolemik eines
Hans-Peter Raddatz gegen die angeblichen Illusionen der sogenannten Gutmenschen
sind fließend.
In einem Essay in der «Zeit» hat die Reporterin Carolin
Emcke im Februar 2o1o die Dynamik der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem
Islam analysiert: Das «Misstrauen gegen muslimische Europäer wird nicht mehr
nur von den schrillen Vertretern rechts-nationalistischer Parteien geschürt»,
sondern hat «das bürgerliche Zentrum erreicht». Kandel nahm in einer Replik im
gleichen Blatt den Standpunkt ein, diese Entwicklung sei «uneingeschränkt zu
begrüßen», da die Diskussion über den Islam «von entscheidender Bedeutung für
die Zukunft Europas» sei. Emcke hatte die Islamkritik der Gebildeten, die jeden
einzelnen Muslim in Haftung nimmt für Zwangsehen, Hasspredigten und sonstige
Modernisierungsrückstände, als liberalen Rassismus charakterisiert. Kandel
dekretierte im ersten Satz seiner Antwort: «Rassismus und politischer
Liberalismus schließen sich grundsätzlich aus.» Das ist die Logik Palmströms
und der Abteilung Agitation und Propaganda beim Zentralkomitee der SED. Einen
Selbstwiderspruch der wehrhaften Aufklärung hatte Emcke diagnostiziert: «Eine
Glaubensfreiheit, die eigentlich Zwangsatheismus als einzige Form der
Modernisierung akzeptiert, ist keine. Eine Glaubensfreiheit, die nur den
christlichen Glauben meint, ist auch keine. Toleranz ist in Wahrheit immer
Toleranz von etwas, das einen anwidert oder irritiert.» Für Kandel, den
evangelischen Sozialdemokraten, wird dagegen die Grenze der Religionsfreiheit
vom Empfinden der Volksmehrheit gezogen: «Religionsgemeinschaften sollten ihre
je eigenen religiösen und kulturellen Praktiken kritisch prüfen, die bei
weiten Teilen der Mehrheitsgesellschaft auf
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