Balkan Blues
und setzt sich neben mich. Um ehrlich zu sein, irgendwie fürchte ich mich davor, Katerinas und Fanis’ Gesichter in den Nationalfarben zu sehen. Ich werfe immer wieder heimliche Blicke auf die Ränge der griechischen Fans. Je länger das Spiel dauert, desto besser wird meine Laune, und ich frage mich, ob es an der Begeisterung unserer Fans oder an den vielen Fahnen liegt. Das halbe Stadion ist griechisch beflaggt, entweder sind die Fahnen wie Spruchbänder aufgespannt, oder sie werden hin- und hergeschwenkt. Ich frage mich, ob patriotische Gefühle in mir erwachen. So viele Jahre haben wir in der Polizeischule die Fahne gehißt und eingeholt, da mußte ja etwas hängenbleiben.
Als das Tor fällt, springe ich unwillkürlich auf und beginne zu brüllen, vielleicht um Fanis würdig zu vertreten.
»Hast du das gesehen, das hat wieder der geschossen, der schon gegen Frankreich getroffen hat!« meint Adriani. »Wie heißt er nur gleich …«
Ich weiß auch nicht, wie er heißt, aber der Stadionsprecher nennt den Namen Charisteas.
»Genau, Charisteas!« ruft Adriani begeistert. »Siehst du, und wieder mit dem Kopf, wie damals. Und was für ein Kopf, du meine Güte! Ein Stahlschädel, Gott behüte ihn vor dem bösen Blick!«
Als im Fernsehen das Tor wiederholt wird, meine ich eine jubelnde Katerina auf dem Bildschirm zu erkennen, aber Dermitsakis holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück.
»Fehlanzeige, Herr Kommissar. Der Pakistani hatte eine falsche Adresse angegeben.«
»Wir werden hier gerade Europameister, und du rufst mich wegen des Pakistanis an? Zum Teufel, hat dich Parker angesteckt? Das hat doch Zeit bis morgen.«
Und ich hänge ein.
Vierter Abend: Der Empfang
Es ist wie eine Reise in die Vergangenheit. Als wir 1987 den Europacup im Basketball gewonnen hatten, war ich als Mitglied einer Polizeieinheit vor der Athener Pferderennbahn stationiert. Wir warteten auf die Massen, um ihre Begeisterung in geordnete Bahnen zu lenken. Siebzehn Jahre später stehe ich im Kallimarmaro-Stadion an der Spitze einer Polizeieinheit, die den VIP -Bereich abschirmt, und wir warten auf die Ankunft der Fußballeuropameister. Ich habe nach langer Zeit wieder einmal Uniform angelegt, und ich fühle mich, als wäre ich gerade der Mottenkiste entstiegen.
Der Empfang im Kallimarmaro-Stadion ist für sieben Uhr angesetzt. Doch es ist bereits acht, und der Bus mit den Europameistern ist noch nicht aufgetaucht. Es ist heiß, und mein Kopf unter der Mütze ist ganz verschwitzt. Ich setze mich mit Vlassopoulos in Verbindung, der in der Nähe des Ejinitio-Krankenhauses positioniert ist.
»Siehst du Licht am Ende des Tunnels?«
»Nein, und seit neuestem heißt es, sie würden insgesamt fünf Stunden bis zum Kallimarmaro-Stadion brauchen.«
»Womit sind sie denn unterwegs? Mit einem Eselkarren?«
»Mit einem Bus, aber sie sind in der Menge eingekeilt und kommen nur mit zehn Stundenkilometern voran.«
Das Stadion ist seit fünf Uhr zum Bersten voll, und das macht mich unruhig. Bislang mußten wir kein einziges Mal einschreiten. Die Leute rufen Parolen und singen ununterbrochen. Sie kommen kaum zum Atemholen. Doch je später es wird, desto ungeduldiger werden sie, und bald werden sie sich irgendwie abreagieren müssen. Die ersten anti-albanischen Sprüche machen bereits die Runde.
»Albaner, Albaner, Grieche wirst du nie, Albaner, Albaner, fick dich doch ins Knie!«
»Also wirklich, schämt ihr euch nicht! Seid ihr hergekommen, um den Titel zu feiern, oder um Leute zu beschimpfen, die euch nichts getan haben?« Diese Worte kommen von einem Fünfzigjährigen, der aufgesprungen ist, um den jungen Männern hinter ihm die Meinung zu sagen.
»Ist es nicht genug, daß sie uns die olympischen Anlagen für einen Kanten Brot bauen, müssen wir sie obendrein auch noch beschimpfen?« fügt sein Nachbar hinzu.
Den jungen Leuten gehen die beiden am Arsch vorbei, und sie fahren mit ihren anti-albanischen Parolen fort.
Ein Polizeiobermeister steigt vom VIP -Bereich zu mir herunter.
»Die Nerven liegen blank«, meint er. »Der Erzbischof und die Bürgermeisterin sind wegen der Verspätung ungehalten und geben uns die Schuld daran.«
Das sagt er mir, wo doch meine eigenen Nerven blank liegen, weil ich das lange Stehen nicht mehr gewohnt bin – meine Füße tun mir weh.
»Sag ihnen, daß bei so vielen Leuten im Kallimarmaro-Stadion unmöglich ein Hubschrauber landen kann. Sonst hätten wir sie mit einem Helikopter
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