Ball der Versuchung
gestorben.
»Die Beerdigung findet morgen statt«, sagte Eve. Sie weinte nicht. An diesem Morgen sah sie irgendwie nicht wie sie selbst aus – sie trug kein Make-up und hatte sich nicht die geringste Mühe mit ihrer Kleidung gegeben. Ihre Augen waren rot geädert und ihre Nase glühte fast. Sie hatte die ganze Nacht geweint: Claire hatte sie gehört, aber als sie an ihre Tür geklopft hatte, wollte Eve keine Gesellschaft. Nicht einmal Michaels.
»Gehst du hin?«, fragte Michael. Claire fand. dass das eine seltsame Frage war - wer würde nicht hingehen? Aber Eve nickte nur. »Ich muss«, sagte sie. »Ich nehme an, es stimmt, was die Leute sagen, dass man Abschied nehmen muss. Würdest du...?«
»Natürlich«, sagte er. »Ich kann nicht mit ans Grab, aber...«
Eve schauderte. »Sowieso, da gehe ich auch auf keinen Fall hin. Die Kirche ist schon schlimm genug.«
»Kirche?«, fragte Claire, als sie allen dreien Kaffee einschenkte. Shane war wie immer vom Telefon nicht wach geworden. »Echt?«
»Du hast Pater Joe nie kennengelernt, oder?« Eve brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Du wirst ihn mögen. Er ist... etwas Besonderes.«
»Eve hat auf ihn gestanden, als sie zwölf war«, sagte Michael und erntete dafür einen finsteren Blick. »Was? Das stimmt, und das weißt du genau.«
»Das lag an der Soutane, okay? Ich bin darüber hinweg.«
Claire hob die Augenbrauen. »Ist Pater Joe ein...?« Sie ahmte Zähne nach, die sich in einen Hals gruben. Beide lächelten. »Nein«, sagte Michael. »Er ist nur unvoreingenommen.«
Eve kam ohne größere Probleme durch den Tag; sie tat die alltäglichen Dinge - sie half mit der Wäsche und erledigte die Hälfte der täglichen Putzarbeit. Sie hatte heute frei. Claire hatte ein paar Unterrichtsstunden, aber drei davon schwänzte sie, weil sie bereits über genug Wissen verfügte, und nahm nur an der einen teil, von der sie dachte, dass es kritisch werden könnte. Und auch Michael gab keine Privatstunden im Gitarre spielen.
Das war schön. Sie waren wie... eine Familie.
Die Beerdigung fand am Mittag des nächsten Tages statt und Claire versuchte zu entscheiden, was sie tragen sollte. Partyklamotten erschienen ihr zu... fröhlich. Jeans waren zu leger. Sie borgte sich von Eve ein Paar schwarze Strümpfe und trug sie zu einem ebenfalls geliehenen schwarzen Rock. Zusammen mit einer weißen Bluse sah es einigermaßen angemessen aus.
Sie wusste nicht sicher, was Eve anziehen wollte, denn um elf Uhr saß diese noch immer vor dem Frisierspiegel und starrte ihr Spiegelbild an. Sie trug noch immer ihren schwarzen Morgenmantel.
»Hey«, sagte Claire. »Brauchst du Hilfe?«
»Ja«, sagte Eve. »Soll ich die Haare hochstecken?«
»Das sieht gut aus«, sagte Claire und griff nach der Haarbürste. Sie bürstete Eves dickes schwarzes Haar bis es glänzte, dann schlang sie es zu einem Knoten, den sie am Hinterkopf feststeckte. »So, bitte schön.«
Eve griff zu ihrem Reispuder-Make-up, dann hielt sie inne. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel.
»Vielleicht nicht der passende Zeitpunkt«, sagte sie.
Claire sagte überhaupt nichts. Eve trug ein wenig Lippenstift auf – er war dunkel, hatte aber nicht den üblichen Farbton - und begann, ihren Schrank zu durchwühlen.
Letztendlich ging sie in einem schwarzen, hochgeschlossenen Kleid, das ihr bis auf die Schuhe hinunterhing. Und einem schwarzen Schleier. Für Eve war das einigermaßen dezent.
Die vier waren eine Viertelstunde zu früh an der Kirche und als Michael in die Parkgarage fuhr, sah Claire, dass dort schon einige Vampirautos mit getönten Scheiben standen. »Ist das die einzige Beerdigung?«, fragte sie.
»Ja«, sagte er und schaltete den Motor ab. »Ich glaube, Mr Rosser hatte mehr Freunde, als wir dachten.«
So viele auch wieder nicht, wie sich herausstellte; der Vorraum der Kirche war nahezu leer, als sie eintraten, und im Trauerregister waren nur wenige Namen verzeichnet. Eves Mutter stand neben dem Buch, bereit, sich auf jeden zu stürzen, der zur Tür hereinkam.
Wie Shane schon beschrieben hatte, schien Mrs Rosser mit Weinen gar nicht mehr aufhören zu können; ebenso wie Eve war sie ganz in Schwarz, nur dass es an ihr sehr viel theatralischer wirkte - dramatisch wehender schwarzer Satin. ein großer, feierlicher Hut und Handschuhe.
Und, überlegte Claire, wenn man noch theatralischer war als Eve , dann hatte man echt ein Problem.
Mrs Rosser hatte großzügig Mascara aufgetragen, das jetzt in unschönen Schlieren
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