Ball der Versuchung
so ruhig wie möglich klingen zu lassen. »Ich glaube, Sie brauchen einen weiteren Schuss. Bitte. Wir sollten nicht warten, bis wir herausfinden, wie viel schlimmer es werden könnte, finden Sie nicht auch?«
Schweigend hielt ihr Myrnin seinen Arm hin und krempelte den Ärmel hoch. Seine Haut war blass wie Alabaster, und als sie seinen Arm ergriff, fühlte er sich nicht wie ein menschlicher Arm an, sondern eher wie weiches Leder über Marmor. Claire nahm das kleine Päckchen heraus, das sie in den Bund ihrer Strumpfhose gesteckt hatte. Dr. Mills hatte es ihr gegeben, es enthielt die Spritze und Ampullen des Serums. Sie hatte an einer Orange geübt, Spritzen zu geben, aber das hier war anders.
»Ich werde versuchen, Ihnen nicht wehzutun«, sagte sie. Myrnin rollte die Augen.
Ihre Hände zitterten, als sie die Nadel in den Gummistopfen der Ampulle steckte und die Spritze füllte. Sie ließ ein paar Tropfen der Flüssigkeit von der Nadel tropfen und holte tief Luft. Sie hoffte, dass Myrnin sich nicht wehren würde, wenn sie ihm die Spritze gab.
Er schien nicht geneigt, bockig zu werden, zumindest jetzt noch nicht; er blieb duldsam stehen, als sie die Nadel über dem kaltem Blau seiner Vene in Position brachte.
»Bereit?«, fragte sie. Eigentlich fragte sie eher sich selbst als ihn. Er schien es zu wissen, denn er lächelte.
»Ich vertraue dir«, sagte er.
Sie drückte und die Nadel schoss durch seine Haut und drang tief ein. Es kam zu einem kurzen Widerstand an der Oberfläche seiner Vene, dann war sie drin.
Rasch drückte sie auf den Kolben der Spritze und zog die Nadel wieder heraus. Ein dünner Tropfen Blut markierte die Austrittsstelle und sie wischte ihn mit den Daumen ab, wobei ein matter Streifen auf seiner perfekten Haut zurückblieb.
Sie schaute auf und sah, wie seine Pupillen zu einem Nichts zusammenschrumpften, und ein Gefühl blanken Schreckens überkam sie, das sie erstarren ließ. Myrnins Mund war rot und stand sperrangelweit offen. Er lächelte und hatte etwas an sich, das ganz und gar nicht in Ordnung war...
Dann war es vorüber, als er blinzelte und seine Pupillen sich wieder auf die normale Größe weiteten. Er schauderte und stieß einen Seufzer aus.
»Unangenehm«, sagte er. »Ah, jetzt kommt die Wärme. Jetzt wird es angenehm.«
»Aber, hat es nicht wehgetan?«
»Ich mag nur keine Nadeln.«
Das fand sie so lustig, dass sie lachen musste. Er runzelte die Stirn, aber sie kicherte weiter und musste sich die Hand vor den Mund halten, als das Gelächter höher und dünner wurde und sich zur Hysterie steigerte. Reiß dich zusammen, Claire .
»Besser?«, fragte sie ihn. Myrnins Arroganz war wieder zurückgekehrt, das sah sie an seinem Blick, als sie das Päckchen wieder einräumte.
»Es war nicht schlimm «, sagte er. »Aber ich weiß deine Besorgnis zu schätzen.«
Der Flur endete vor ihnen in einem Paar weißer Schwingtüren. Myrnin ergriff ihre Hand und zerrte sie förmlich in diese Richtung. »Warten Sie! Langsam!«
»Warum?«
»Weil ich sicher sein möchte, dass Sie... „
» Compos mentis? Das ist lateinisch, Claire. Es heißt...«
»Bei Verstand sein, ja, ich weiß.«
»Ich rede keinen Unsinn. Und ich glaube auch nicht, dass ich diese Spritze gebraucht hätte.« Er klang eingeschnappt. Claire fand, dass das am erschreckendsten daran war - Myrnin konnte nicht erkennen, wann ihm der Verstand entglitt.
Zumindest hoffte sie, dass das wirklich das Erschreckendste war. Dem Feuereifer in Myrnins Gesicht nach zu urteilen, könnte es noch eine ganze Ecke schlimmer werden, befürchtete sie.
***
Auf der anderen Seite der Tür befand sich die runde Vorhalle des Gebäudes des Ältestenrates und sie war brechend voll. Leute standen herum und unterhielten sich. Sie hatten Champagnerflöten in der Hand oder Gläser mit Wein oder etwas anderes, das zu rot war für Wein. Alle trugen Kostüme und Masken.
»Sie hatten recht«. sagte sie zu Myrnin. »Ich glaube, jeder einzelne Vampir der Stadt ist hier.«
»Und jeder hat einen kleinen menschlichen Freund mitgebracht«, sagte er. »Aber ich glaube, du bist die Einzige, die den wahren Grund dafür kennt.«
Die Erste, die Claire entdeckte, war Jennifer, die am Arm von François, Bishops Günstling, herumstolzierte. Sie trug ein Sechziger-Jahre-Kostüm, das aus einem gebatikten Oberteil mit Nackenträger, einem winzigen Minirock, Plateauschuhen und Schmuck mit Peace-Zeichen bestand. Die Maske war ein nachträglicher Einfall. Offensichtlich war es
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