Balla Balla
plötzlich die deutschen Fußballlegenden Lothar Matthäus und Andy Brehme mit einem Korb Pfälzer Kartoffeln und fränkischer Leberwurst. Der eine bedrohte den anderen mit einer Pistole und zischte: »Ein Lothar Matthäus lässt sich nicht von seinem Körper besiegen, ein Lothar Matthäus entscheidet selbst über sein Schicksal.«
»Aufhören«, schrie Plotek, »das ist doch alles nur ein Spiel, bei dem 22 Mann gegen einen Ball treten und Deutschland gewinnt.« Aber vergiss es. Jetzt richteten plötzlich beide ihre Pistolen auf Plotek.
»Das Chancenplus war ausgeglichen«, sagte Matthäus.
Und Brehme konterte: »Heute hatten viele die Möglichkeit, ein Tor zu machen, nur haben wir das nicht umgemünzt.«
Plotek streckte die Arme zur Decke, während U-Bahnhöfe auftauchten und wieder verschwanden. Hernals. Volkstheater. »Wir bitten Sie, älteren oder behinderten Personen die Sitzplätze zu überlassen.« Stephansplatz. »Bitte alles einsteigen, Türen schließen selbsttätig. Vorsicht bei der Abfahrt. «
Matthäus und Brehme waren noch immer da und schossen jetzt wild um sich. Die Scheiben zerschlugen, Menschen kreischten. Jemand zog in höchster Not die Notbremse, der Zug hielt, Glas splitterte. Die Fahrgäste schwankten, stolperten, taumelten und erbrachen sich. Plotek flüchtete durch die Tür in den Tunnel, hinter ihm Lothar Matthäus
und Andy Brehme, dahinter, o nein, das waren doch Mario Basler und der Präsident des deutschen Fußballbundes.
»I hope we have a little bit lucky«, schrie Matthäus, dass es von den Wänden perlte, und Brehme antwortete: »Bedanken möchten wir uns auch bei den Fans, auf denen wir uns immer verlassen konnten.«
Plotek spürte die Blicke wie Messerspitzen im Rücken. Er kam sich vor wie in einem Film – verdammt, wie hieß der Streifen noch mal. Fiktion und Realität zwölf Meter unter der Erde. Plotek rannte um sein Leben und Brehme und Matthäus rannten hinterher. Er schaute sich um, sah nichts mehr und stolperte, blieb liegen, öffnete die Augen. Über ihm schwarze Haare und ein Gesicht, und er dachte, Gott sei Dank ist das nicht Lothar Matthäus oder Andy Brehme. Dann sah er rote Lippen und einen schönen Mund, der plötzlich fragte: »Und, wie geht’s?«
»Wien?«, fragte Plotek, »sind wir nicht in Wien?«
»Nein, in Hamburg«, antwortete Agnes. »Du hast so schön geschlafen und bleibst jetzt noch ein bisschen im Bett, okay?! Ich gehe zur Sightseeing Tour und heute Abend gehen wir zusammen essen und dann in die Oper. Okay?«
Gute Idee, dachte Plotek, das mit dem Bett. Und das mit dem Essen, na ja. Und mit der Oper, bloß nicht.
»Tschüss, bis später.«
Und von ganz weit weg hörte er Mario Basler sagen:
»Das habe ich ihm dann auch verbal gesagt.«
Plotek ging es allmählich besser. Zwei Stunden später sogar so gut, dass er beschloss aufzustehen. Er ging ein wenig im Hotelzimmer herum, und als er einen Blick aus dem Fenster
warf, sah er, wie Arno Brunner zusammen mit dem Sportreporter Rainer von Plorre das Hotel verließ. Sicher sind sie auf dem Weg ins Stadion, dachte Plotek und dabei ergriff i
ein Gedanke von ihm Besitz, der ihn nicht mehr loslassen wollte. Nach längerem Hin und Her dachte Plotek, das merkt sie nicht. Gemeint war natürlich Agnes. Und das Altona-Nord-Spiel. Bis sie wieder zurück ist, bin auch ich wieder da. Derlei Gedanken fingen an, ihn zu umschmeicheln. Dann hätte dieser ungewollte Hamburg-Aufenthalt doch noch sein Gutes. Eigentlich spricht nichts dagegen. Abgesehen von seiner Konstitution, aber mit der ging es auch schon wieder bergauf. Zwei Aspirin, dann ist alles wieder tipptopp, dachte Plotek, und während die Tabletten noch im Glas sprudelten, hörte er schon die Fangesänge, das Stadion tauchte auf, die SpVg Altona-Nord, der Pokalschlager. Und dann ging alles ganz schnell: Hose, Cordjacke, Mokassins, Tür auf, Tür zu. Tschüss.
4
Die U-Bahn war voller Fans. Das löste bei Plotek ein wenig Beklemmung aus. Obgleich die Altona-Nord-Fans im Allgemeinen als friedliebend gelten. Es waren auch nicht die Fans an sich, sondern deren Masse, die Ploteks Gemüt zusetzte und ihm Unbehagen bereitete. Man muss wissen, dass Plotek schon immer Probleme hatte, wenn mehr als zehn Personen auf engstem Raum zusammenkamen. Egal wo, auf der Straße, in geschlossenen Räumen, auf öffentlichen Plätzen. Supermarkt, Arbeitsagentur, Kneipe, egal wo. Oder wie jetzt in der U-Bahn. Das hatte bei Plotek Schweißausbrüche zur Folge, Herzrasen und
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