Balla Balla
Netzer oder Breitner, vielmehr sah das Gesicht aus wie das von Arno. Und der saß neben einem Mann, den Plotek auch schon mal gesehen hatte. War das nicht der Dosensuppenfabrikant, der da mit Arno angeregt diskutierte? Und daneben der Manager von diesem Spitzenclub? Möglich, dachte Plotek, oder auch nicht, weil die verbotene Substanz seine Pupillen gerade derart bearbeitete, dass das Rosa plötzlich ins Olivgrün oszillierte und alles zu verschwimmen drohte. Trotz des visuellen Zehnkampfs konnte Plotek noch erkennen, wie Arno ihm zuwinkte. Wollte er
Arno eben zurückwinken. Aber vergiss es. Noch ehe er den Arm heben und die Hand bewegen konnte, sank er wie vom Blitz getroffen zu Boden und blieb bewusstlos liegen. Er sah nichts mehr, hörte nichts mehr und spürte auch nichts mehr: Blackout. Hätte er nicht zu Arno hinübergesehen, wäre ihm höchstwahrscheinlich der Niedergang erspart geblieben. Dann hätte er den durch die Luft fliegenden Ball mit Sicherheit gesehen. Den Ball, den einer dieser Superstürmer als Querschläger in Richtung Gegentribüne, Block D gedroschen hatte. Leider war der Ball nicht zwischen den Pfosten eingeschlagen, sondern inmitten der Zuschauer gelandet. Genau da, wo Plotek gestanden hatte. Natürlich hätte er, wäre er nicht einen Augenblick unaufmerksam und von Arno abgelenkt gewesen, die Hände hochgerissen und den Ball abgewehrt. Aber vergiss es. Plotek sank bewusstlos zu Boden und blieb wie der Superstürmer zuvor auf dem Platz liegen, als wäre auch er tot. So lange, bis auch er von einem Sanitätstrupp von der Tribüne getragen wurde. Wäre ihm jetzt noch etwas eingefallen, dann höchstens der alte Horst-Hrubesch-Spruch: »Nur ein Wort: Vielen Dank«. Aber vergiss es. Nichts. Gar nichts.
5
»Überleg es dir.«
»Da gibt es nichts zu überlegen.«
»O doch, mein lieber Jo. Denk an Ivo.«
»Ivo? Du spinnst doch.«
»Jo, ich warne dich. Du weißt, es hängt viel davon ab. Wenn du das aufs Spiel setzen willst, bitte. Aber dann musst du auch die Konsequenzen tragen.«
»Lass mich in Ruhe mit deinem blöden Geschwätz.«
»Dahinter steckt doch bestimmt dein Manager, oder?!«
»Blödsinn.«
»Und dieses oberbayerische Arschloch, hm?!«
»Hör auf.«
»Das wird er mir büßen.«
»So, so. Weißt du, dann werde ich aber auch einen kleinen Schwank aus Bennys Leben erzählen. Ich glaube, das könnte ein paar Leute interessieren.«
»Einen Scheißdreck wirst du!«
»Haha.«
»Okay, Jo, wie du willst. Überleg es dir einfach. Ich komme morgen wieder.«
»Spar’s dir. Und grüß Benny schön von mir.«
»Hör mal zu, du kleiner Denunziant!«
»He, au, lass das, lass mich los!«
»Übertreib es bloß nicht, klar, sonst...?!«
»Klar, Mann!«
Schritte waren zu hören. Die Tür knallte. Plotek war wach.
»Schwuchtel!«, zischte es gedämpft neben ihm.
Langsam schlug Plotek die Augen auf. Alles war hell. Bin ich jetzt schon im Himmel, dachte er, oder seit wann ist die Hölle weiß. Er lag in einem Bett, das Plumeau bis zum Kinn hochgezogen. An der Decke eine Neonleuchte. In der Ecke an der Wand, knapp unter der Decke, stand auf einem Bord ein kleiner Fernsehapparat. Es lief eine Nachmittagssoap ohne Ton. Neben dem Bett war ein fahrbarer Nachttisch, darauf ein Tablett mit Obst, Joghurt und Knäckebrot. Das war eindeutig ein Krankenzimmer. Er der Patient. Plotek hob das Plumeau. Scheiße! Er hatte nur eines dieser unansehnlichen Krankenhemdchen an, bei denen der Arsch permanent Freigang hat. Wie er hierhergekommen war und warum er hier lag, war ihm völlig unklar. Plotek konnte sich an nichts mehr erinnern. Eigentlich ein Idealzustand, hätte er jetzt denken können, so ohne jegliche Erinnerung, frei von aller belastenden Vergangenheit. Aber keine Spur davon. Eher das Gegenteil. Und das war ziemlich unheimlich. Nicht zu wissen, was war, keinen blassen Schimmer von rein gar nichts zu haben. Das Einzige, was als Erinnerung noch in seinem Kopf herumspukte, war ein Stadion, die SpVg Altona-Nord und ein Fußballspiel. Und dann war die Laterne aus, der Erinnerungsfaden gerissen, alles zappenduster.
Jetzt hörte er ein leises Techno-Gewummer, das von dem Bett neben ihm kam. Darin lag ein junger Mann mit eingegipstem Bein und blätterte, mit einem Kopfhörer auf den Ohren, in einer Zeitschrift. Das war der ›Kicker‹. Irgendwie kam Plotek dieser Junge bekannt vor. Irgendwo war ihm der schon mal begegnet. Die Stimme dagegen hatte er bis vorhin im dämmrigen Zustand noch nie gehört.
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