Balla Balla
nuschelte: »Nicht schimpfen, bin schon wieder auf dem Weg ins Bett, Herr Doktor!« Dann rülpste er leise und torkelte weiter.
Plotek sah ihm nach. Die rosafarbenen, plüschigen Hauspantoffeln und der dicke haarige Arsch unter dem Hemdchen ließen ihn grinsen. An der nächsten Ecke bog der Mann ab und war verschwunden. Als Plotek sich wieder umdrehte, hörte er plötzlich eine Stimme und erschrak.
»Suchen Sie mich?«
Vor ihm stand jetzt Schwester Sieglinde und lächelte. Plotek nickte.
»Na, dann kommen Sie mal mit.« Sie führte ihn wie einen schwer Verwundeten ins Schwesternzimmer.
»Setzen Sie sich.«
Plotek ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen, atmete tief und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
Plotek überlegte. Tja, das ist eine gute Frage, dachte er und wusste keine Antwort. Nicht einmal eine Spur von einer Antwort war in Sicht. Dafür eine weitere Frage.
»Sie können nicht schlafen, stimmt’s?«, fuhr Schwester Sieglinde fort, als hätte sie Plotek längst durchschaut und sich darauf eingestellt, ihm alles aus der Nase ziehen zu müssen.
Plotek nickte wieder und wollte erklären, warum. Aber noch ehe er den Mund aufbrachte, fiel ihm die Schwester schon ins Wort: »Sie brauchen gar nichts zu erklären, ich weiß schon.«
Also sagte er eben nichts.
»Hier, nehmen Sie diese Tablette, dann werden Sie schlafen wie im Himmel.«
Also, doch nicht Schwan oder Schimmel, sondern Engel, dachte Plotek und lächelte. Schwester Sieglinde reichte ihm eine Tablette, stand dann auf, holte eine Flasche aus dem Schrank, schenkte einen Plastikbecher halb voll und reichte ihn Plotek. Der Becher roch seltsam. Oder vielmehr der Inhalt. Das merkte Plotek sofort. Dafür hat er ein Näschen. Das war kein Wasser, auch kein Power-Drink, das war Schnaps. Cognac. Plotek sah Schwester Sieglinde erstaunt an, die aber nur einmal zwinkerte und so vertraulich, als würden sie sich schon ewig kennen, sagte: »Ich weiß doch, was Ihnen fehlt.«
Hatte sie auch wieder recht. Vielleicht waren die zittrigen Knie und die Schweißausbrüche schon die ersten Anzeichen von Alkoholentzug. Plotek war auf den ersten Blick natürlich kein Alkoholiker. Auf den zweiten dagegen konsumierte er täglich reichlich Alkohol. Bier, Schnaps, Wein, Tequila. Und wenn dann der Stoff fehlte, rebellierte natürlich der Körper.
» Unertl-Weißbier ist kein Alkohol«, sagte Agnes immer, wenn der lasterhafte Bierkonsum mal wieder Thema war. » Unertl-Weißbier ist das Gleitmittel für den menschlichen Gefühlshaushalt.«
»Und Tequila?«
»Ein Präservativ gegen scheußliche Depression.«
Das machte das Trinken dann wieder vergnüglicher. Plotek hatte schon lange nichts mehr getrunken – zumindest konnte er sich nicht mehr daran erinnern. Er schob die Tablette in den Mund und spülte sie mit Cognac hinunter. Augenblicklich ließ das Zittern nach, die Schweißdrüsen machten Pause und der Schmerz in der Brust stach nur noch halb so spitz. Danke, wollte er sagen, brachte aber nichts heraus. Schwester Sieglinde kramte derweil in einer Schublade, zog ein Kuvert hervor und gab es Plotek.
»Das soll ich Ihnen noch geben.«
Plotek hielt das Kuvert in der Hand und starrte auf das Papier, als wäre es eine Botschaft aus einer anderen Welt und der Absender auch nach stundenlangem Nachdenken nicht zu ermitteln.
»Na, machen Sie schon auf«, sagte Sieglinde. Es klang, als wüsste sie längst, was darin stand.
Er öffnete das Kuvert, zog einen Bogen Hotelbriefpapier heraus und las lautlos die krakelig hingeschriebenen Sätze.
Ich kann leider nicht bei dir in Hamburg bleiben. Komme dich aber nächstes Wochenende besuchen. Ruf mich an, wenn du kannst. Agnes (Kuss) PS Gute Besserung auch von Arno Brunner – er kommt die Tage bei dir vorbei.
Bloß nicht, dachte Plotek. Es passte ihm gar nicht, dass Agnes und Arno Brunner sich getroffen hatten. Ob das schon erste Anzeichen von Eifersucht waren, die da in Plotek aufkeimte? Keine Ahnung. Im Prinzip war Plotek nicht eifersüchtig. Noch nie gewesen. Gründe gab es natürlich oft. Aber Plotek war keiner, der sich von einem Grund drängen ließ. Auch nicht zur Eifersucht. Zu gar nichts. Er war einfach anders, der Plotek.
»Unangenehm?«, fragte Sieglinde jetzt.
»Hm«, machte Plotek und dachte, es gibt Unangenehmeres. Obgleich ihm auf Anhieb gar nichts einfiel. Dann schon. Zum Beispiel Hodenkrebs, Lungenkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und alles. Auch ein
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