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Balla Balla

Balla Balla

Titel: Balla Balla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Schwester Sieglinde zurück in sein Zimmer. Stieg schnell in sein Bett, Augen zu und Gute Nacht.

    Als er am nächsten Morgen aufwachte, schmerzte sein Schädel. In den Beinen spürte er ein unangenehmes Kribbeln und in der Brust stach es wieder, als wäre eine heimtückische
    Mistgabel am Werk. Gott sei Dank war im Bett nebenan Ruhe. Kein Schnarchen, kein Röcheln, kein Nichts. Auch schön, dachte Plotek und wollte die Augen wieder schließen, um noch ein wenig vor sich hinzudämmern. Aber keine Chance. Er brachte kein Auge mehr zu. Der Grund, das Kribbeln in den Beinen und das Kribbeln der Gedanken, die jetzt durch seinen Kopf gingen. Nach einiger Zeit nur noch ein Gedanke, der wie ein hässliches Transparent zwischen seine Ohren gespannt war: Warum schnarcht Jo Hillebrand nicht mehr? Vielleicht ist er schon wach, dachte Plotek, drehte sich um und sah zum anderen Bett hinüber. Noch immer alles ruhig. Unwahrscheinlich. Wenn er wach wäre, hätte er schon längst wieder seine Despektierlichkeiten in die Welt hinausposaunt oder mit dem Techno-Gewummer die Luft akustisch verpestet. Plotek hievte sich aus dem Bett, hielt sich am Nachtkasten fest und machte einen Schritt auf Jo Hillebrands Bett zu. Er stützte sich am Bettrand ab und beugte sich über den Kopf des Superkickers, der mit geschlossenen Augen unbeweglich auf dem Kissen lag. Plotek lauschte. Aber nichts. Kein Atem, nichts. Wenn man nicht atmet, dachte Plotek, hält man die Luft an. So lange kann man die Luft nicht anhalten, fiel ihm dann ein. Also: Ohne Atem kein Leben, ohne Leben tot. Und dann: Scheiße, der ist tot, dachte Plotek, wieder ein Wunderkicker weniger. Jetzt wird’s langsam eng für den deutschen Fußball. Das ist ein gar nicht lustiges Kickersterben – letzte Woche Ivo Jovanovic, jetzt Jo Hillebrand. Und Benny van der Tal ist seit kurzem auch außer Gefecht gesetzt. Wo soll das bloß enden, dachte Plotek. Dann fiel ihm der Präsident des deutschen Fußballbundes, Gerhard Mayer-Volltreffer und dessen Bekenntnis ein: Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in der Anfangsformation stehen, kann irgendwas nicht stimmen. Nur was? Hat der nicht gesagt, der germanische deutsche
    Fußballpräsident. Jetzt erst fiel Plotek auf, dass Germane Hillebrand am Hals einen dünnen Strich hatte. Sah von weitem aus wie ein rotes Kettchen. Die Marie aus ›Woyzek‹, fiel Plotek jetzt ein, Theater, Georg Büchner. Er als Franz, Stadttheater Erlangen, Mitte der 90er: »Was bist du so bleich, Marie? Was hast du eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband verdient mit deinen Sünden?«
    Hat er sie umgebracht, der Woyzeck, die schöne Marie und wusste es nicht mehr, wollte es nicht mehr wissen. »Der Mond ist wie ein blutig Eisen!«
    Und Jo Hillebrand ist auch mausetot, dachte Plotek und bemerkte jetzt die weiße Nase und die Lippen, so blau wie Enzian. Der Blick in das Gesicht eines Menschen, dem geholfen ist, ist der Blick in eine schöne Gegend. Dauernd fielen Plotek diese Sprüche ein – nein, der war nicht von Andy Brehme, auch nicht von Lothar Matthäus, sondern von einem großen deutschen Dichter, an dessen Namen sich Plotek jetzt aber nicht erinnern konnte – egal. Er spielte weiter gedanklich den Woyzeck durch und quälte sich durch die grauenvolle Inszenierung in Erlangen, als es an der Tür plötzlich klopfte. Plotek zog das Plumeau über den toten Jo Hillebrand und sagte: »Herein!«
    Ein Mann mit schulterlangen, blonden Haaren, Trainingsanzug, stand jetzt zwischen den Türpfosten.
    »Das ist doch ...«, sagte er mit erstaunter Miene. »Paul? Bist du’s? Ich werd’ verrückt! Das gibt es doch nicht, das ist doch ...«
    Und wer bist du, dachte Plotek und wusste, dass ihm die Stimme von irgendwoher bekannt vorkam. Das war der Mann, der gestern am Bett von Jo Hillebrand gesessen hatte. Klar. Aber auch schon davor hatte er die Stimme irgendwo irgendwie irgendwann gehört. Plotek stand noch immer neben dem Bett und mit beiden Beinen auf der Leitung.
    »Plotek, Paul Plotek, der schnellste Rechtsaußen, den Aalen je hatte, stimmt’s?«, sagte der Mann und seine stahlblauen Augen sahen Plotek freundlich an. »VfR Aalen, Anfang der 80er, B-Jugend, na?«
    Langsam dämmerte es Plotek. In Gedanken ging er die Mannschaft durch. Vor seinem geistigen Auge tauchte das Mannschaftsbild mit achtzehn pickligen Buben in kurzen Hosen auf, die von der großen Fußballkarriere träumten. Mittendrin er selbst. Vom Sturm bis zur Abwehr alles

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