Ballade der Liebe
O’Keefes Karriere als Sängerin? In Irland gibt es keine namhaften Theater, oder irre ich mich?“ Tanner wunderte sich, wie Flynn solchen Unsinn reden konnte.
„Sie werden doch sicher jedem Theaterdirektor in London nahelegen, mich nicht zu engagieren“, erklärte Rose.
„Wieso, zum Teufel, sollte ich das tun?“
Die beiden müssen tatsächlich verliebt ineinander sein, überlegte Tanner. Denn sie waren offensichtlich noch verwirrter im Kopf als er.
„Mit diesem Brummschädel kann ich nicht denken.“ Er stützte den Kopf in die Hände. „Besorgt euch eine Heiratslizenz oder was auch immer, aber geht endlich und lasst mich allein. Über eure Zukunft können wir später reden.“
Mit offenem Mund starrte Flynn ihn an. „Sie sind nicht wütend?“
Flynns Frage machte ihn stutzig. Er dachte nach. Nein, er war nicht wütend, obgleich er wütend sein sollte. Seltsam.
„Ich bin davon überzeugt, dass ihr einander verdient.“ Mit einer unwirschen Geste scheuchte er das Paar zur Tür. „Geht endlich.“
Rose und Flynn standen auf und lächelten ihm so liebevoll zu, dass er sich vorkam wie ein Lieblingsonkel oder etwas ähnlich Grässliches. Rose beugte sich über ihn und drückte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange.
„Vielen Dank, Mylord“, flüsterte sie.
Aus ihren Augen strahlten Liebe und Glück.
Tanners Kopfschmerzen waren unerträglich geworden. „Geht endlich“, wiederholte er. „Den Rest klären wir später.“
Flynn ergriff Tanners Hand. Der Ausdruck tiefer Dankbarkeit im Gesicht seines Sekretärs ging ihm ans Herz, wühlte befremdliche Gefühle in ihm auf.
Endlich wandten die beiden sich zum Gehen. Flynn hatte den Arm um seine geliebte Rose geschlungen, und dann fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss.
Tanner stützte seinen schmerzenden Kopf wieder in die Hände und schloss die Augen. Sein Gefühlsaufruhr rührte nicht daher, dass er Rose begehrte, da er endlich einsah, dass es ihm in Wahrheit darum gegangen war, eine Wette zu gewinnen und nicht darum, Roses Gunst zu gewinnen. Wenn er ehrlich war, beneidete er die beiden um ihr Glück.
Er warf einen begehrlichen Blick zu der Karaffe mit Brandy, die auf der Anrichte stand, begnügte sich dann aber doch mit einer weiteren Tasse Tee. Vermutlich sollte er mit Pomroy darüber reden. Er stellte sich das Gespräch mit dem Freund lebhaft vor. Das dramatische Geständnis. Die zärtliche Liebeszene. Er malte sich Pomroys amüsierte Miene aus und hörte bereits seine spitzen Bemerkungen. Ein Sekretär, der einem Marquess Hörner aufsetzte. Fabelhaft.
Tanner blinzelte gegen das Brennen in seinen Augen an und fing an zu lachen.
Nein, diese amüsante Geschichte durfte er Pomroy nicht vorenthalten.
EPILOG
Dublin, Oktober 1818
Flynn stand mit klopfendem Herzen in den Kulissen, seit Rose die Bühne betreten hatte. Das Theater in Dublin war bis auf den letzten Platz besetzt, wobei mindestens die Hälfte der Sitze, wie er vermutete, von seinen Namensvettern belegt waren.
Seit dem Tag, an dem Flynn und Rose als Mann und Frau in Belfast von Bord des Schiffes gegangen waren, waren sie von einem Schwarm von Flynns umringt. Sein Bruder Aidan und seine Schwester Siobhan hatten das Paar im Hafen erwartet, obwohl Flynn geschrieben hatte, sie beabsichtigten, umgehend nach Donnanew House weiterzureisen, wo er seine Kindheit verbracht hatte. Siobhan und ihr Gemahl sowie und Aidan und seine Gemahlin ließen es sich aber nicht nehmen, die Frischvermählten nach Donnanew House zu begleiten. Dort wurde das Paar von Flynns Eltern, die, wie er erschrocken feststellte, grauer und gebrechlicher geworden waren, herzlich empfangen.
Nun hatten die Eltern trotz ihres hohen Alters die beschwerliche Reise nach Dublin auf sich genommen, um sich die Premiere nicht entgehen zu lassen.
Sogar ein paar O’Keefes saßen im Publikum. Kurz nach seiner Ankunft in Irland hatte Flynn Verwandte von Rose gesucht, um sie vom Tod ihres Vaters zu unterrichten. Wie sich herausstellte, lebte Mr. O’Keefes Bruder noch. Und Rose empfand es wie ein Wunder, dass ihre Vettern und Cousinen sie herzlich, wie ein verloren geglaubtes Kind, in die Arme schlossen.
Es war ein Jahr der Wunder – und dieses Theater war eines davon. Flynn hatte immer noch das Gefühl, er müsse sich kneifen, um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich der Besitzer und Leiter dieses Theaters war und Regisseur dieser ersten Aufführung. Bevor er das seit Jahren geschlossene Haus besichtigte, hatte er nicht
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