Ballard, James G.
Butter über den
Rand eines Tellers in die darunterstehende Salatschüssel; der Gestank nach
sauer gewordener Milch und verdorbenem Fleisch war so abstoßend, daß er die Tür
hastig wieder schloß. In der Speisekammer standen zahlreiche Konservendosen auf
langen Regalen, und der große Tank unter dem Dach enthielt noch etwas Wasser;
aber alles das war keineswegs das Ergebnis vorausschauender Planung, sondern
nur auf die Tatsache zurückzuführen, daß Judith und er so selten zu Hause
gegessen hatten.
Ransom ging wieder ins Wohnzimmer
zurück und fühlte sich dabei nicht mehr als Besitzer dieses Hauses, dessen
vollkommen unpersönliche Atmosphäre ihm erst jetzt wirklich zu Bewußtsein kam,
bis er schließlich das Gefühl hatte, ein verlassenes Motel zu besichtigen –
oder hatte er das Haus damals eben wegen dieser Anonymität anderen vorgezogen,
die persönlicher und intimer wirkten? Neben dem leeren Kamin stand ein stummer
Plattenspieler; er schaltete ihn ein und aus, erinnerte sich dann an Judiths
Transistorradio und ging nach oben in ihr Schlafzimmer. Auf dem Toilettentisch
standen nur noch wenige Flaschen, die vor dem Spiegel in einer Linie
ausgerichtet waren, was Judiths sonstiger Art völlig widersprach. Auf dem Bett
lag ein großer blauer Koffer, der bis zum Rand mit Kleidungsstücken
vollgestopft war.
Ransom starrte den Koffer an. Obwohl
ganz offensichtlich war, was er zu bedeuten hatte, fragte er sich
paradoxerweise, ob Judith sich endlich entschlossen hatte, doch wieder bei ihm
zu bleiben. Seltsame Inversionen dieser Art waren in den vergangenen Jahren für
das langsame Auseinanderbrechen ihrer Ehe charakteristisch gewesen, ohne daß es
jemals zu großen Szenen zwischen ihnen gekommen wäre; der ganze Vorgang
erinnerte mehr an das allmähliche Ablaufen eines riesigen Uhrwerks, das
gelegentlich auf unerklärliche Weise rückwärts zu laufen schien, um dann noch
schneller dein Ende entgegenzuticken.
Irgend jemand klopfte an die
Küchentür. Ransom ging nach unten und erkannte den Besitzer der dunkelgrünen
Limousine, der mit dem Hut in der Hand vor ihm stand.
»Kommen Sie herein«, forderte Ransom
ihn auf. Der kleine Mann nickte dankend und betrat die Küche, wo er unsicher
stehenblieb, als sei er nicht mehr an Häuser gewöhnt. »Ist mit Ihrer Familie
alles in Ordnung?« fragte Ransom.
»Einigermaßen. Wer ist der Verrückte
am See?«
»Das moderne Haus mit dem
Schwimmbecken? Einer der hiesigen Exzentriker. An Ihrer Stelle würde ich mir
seinetwegen keine Sorgen machen.«
»Aber an seiner Stelle würde ich mir
bestimmt welche machen«, antwortete der kleine Mann aufgebracht. »Wer so
verrückt ist, hat bald nichts mehr zu lachen.«
Er wartete geduldig, während Ransom
einen Zehnliterkanister am Wasserhahn füllte. In der Leitung war nur noch wenig
Druck, so daß die beiden längere Zeit zusehen mußten. Als Ransom dem kleinen
Mann den Kanister gab, schien er merklich erleichtert, als habe er nicht zu
hoffen gewagt, er werde das Wasser tatsächlich bekommen.
»Das ist wirklich nett von Ihnen,
Doktor. Ich heiße übrigens Grady, Matthew Grady. Das reicht für die Kinder, bis
wir an der Küste sind.«
»Trinken Sie selbst einen Schluck.
Sie haben es bestimmt nötig. Bis zur Küste sind es nur hundertfünfzig
Kilometer.«
Grady nickte skeptisch. »Vielleicht.
Aber ich schätze, daß die letzten zehn oder fünfzehn Kilometer am schwierigsten
sind. Wahrscheinlich brauchen wir zwei Tage dazu – sogar drei, wenn wir Pech
haben. Und Meerwasser ist nicht trinkbar. Wer die Küste erreicht, hat erst
einen Anfang gemacht.« An der Tür fügte er noch hinzu, als wolle er sich mit
einem guten Ratschlag für das Wasser erkenntlich zeigen: »Glauben Sie mir,
Doktor, hier bleibt es nicht mehr lange friedlich. Verschwinden Sie lieber,
solange Sie noch können.«
Ransom lächelte unwillkürlich.
»Eigentlich bin ich schon längst nicht mehr hier. Heben Sie mir einen schönen
Platz im Sand auf.« Er beobachtete Grady, der den Kanister unter seiner Jacke
versteckte und erst dann die Straße überquerte, wobei er sich ängstlich nach
allen Seiten umsah, bevor er zwischen den verlassenen Fahrzeugen untertauchte.
Da Ransom das leere Haus nicht länger
ertragen konnte, ging er nach draußen, um dort auf Judith zu warten. Die
Flugasche der zahllosen Feuer wurde allmählich unangenehm, so daß er in den
Wagen kletterte, nachdem er den Sitz abgestaubt hatte. Er schaltete das Radio
ein und suchte nach einer der
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