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Ballard, James G.

Ballard, James G.

Titel: Ballard, James G. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Welt in Flammen
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der Diele auf ihn. Sie klemmte sich den Pappkarton unter den Arm.
»Charles«, fragte sie dann, »was hast du jetzt vor?«
    Ransom lächelte unwillkürlich. In
gewisser Beziehung forderten seine ganze Erscheinung und vor allem der Bart
diese Frage geradezu heraus, aber seitdem alle möglichen Leute ihn in letzter
Zeit danach gefragt hatten, wurde ihm allmählich klar, daß seine bloße
Gegenwart genügte, um die anderen nervös zu machen, die sich weder mit der
leeren Stille noch der erzwungenen Untätigkeit innerhalb der Stadt abfinden
konnten. Aber auch der bloße Entschluß, die Fahrt zur Küste zu wagen, war für
diese Leute keine Lösung, weil das Vakuum in ihrem Inneren sich auch dadurch
nicht weniger bemerkbar machte. Deshalb erkundigten sie sich alle nach seinen
Plänen, als hofften sie, dadurch einen Hinweis zu erhalten, der ihnen selbst
weiterhelfen würde.
    Er überlegte sich einen Augenblick
lang, ob er Judith erzählen sollte, welche Gedanken ihn in letzter Zeit
bewegten, schwieg aber doch lieber. Ihr blasses Gesicht betrachtete seinen
Schatten an der Wand, als erwarte sie, diese reflektierte persona werde
ihr den gewünschten Hinweis geben. Dann sah er jedoch, daß sie nur ihr eigenes
Bild im Spiegel anstarrte und wurde wieder einmal auf die eigenartige
Asymmetrie ihres Gesichts aufmerksam, obwohl Judith die nach innen gewölbte
linke Schläfe unter einer Haarsträhne zu verdecken suchte. Er hatte manchmal
fast den Eindruck, ihr Gesicht sei bereits von einem schrecklichen Autounfall
gezeichnet, den sie irgendwann in der Zukunft erleiden würde. Gelegentlich
glaubte er auch zu ahnen, daß Judith ähnlich dachte und diese Last ihr Leben
lang mit sich herumschleppen würde.
    Sie öffnete die Haustür und trat auf
die Treppe hinaus. »Viel Glück, Charles. Vergiß nicht, dich um Philip Jordan zu
kümmern.«
    »Wahrscheinlich muß er sich eher um
mich kümmern.«
    »Ich weiß. Du brauchst ihn, Charles.«
    Als sie unter dem Vordach ins Freie
traten, zogen riesige dunkle Wolken von Mount Royal her über den Himmel.
    »Großer Gott!« Judith rannte die
Auffahrt entlang und ließ dabei den Karton fallen. »Ist das etwa Regen?«
    Ransom holte sie ein. Er sah zu den
schwarzen Rauchwolken auf. »Keine Angst«, sagte er und gab ihr den Karton
zurück. »Das ist nur die Stadt. Sie brennt.«
    Nachdem Judith und Hendry abgefahren
waren, ging er langsam ins Haus zurück und hatte dabei Judiths Gesicht vor
Augen. Ihr letzter Blick war so erschrocken gewesen, als fürchte sie, in dieser
Sekunde alles zu verlieren, was sie gewonnen hatte.

3
     
     
    Mount Royal brannte drei Tage lang
ununterbrochen. Am Himmel türmten sich gigantische Rauchwolken auf, als sei der
Vorhang zum letzten Akt der Stadt hochgezogen worden, während unterhalb
einzelne Flammensäulen noch oben stiegen und wie Fragmente monumentaler
Rauchsignale wieder in sich zusammenbrachen. Unzählige Abfallfeuer und die
weiter in Betrieb befindlichen Papierverbrennungsöfen machten die Rauchschleier
noch düsterer, die über dieser wahrhaft apokalyptischen Szene hingen.
    Ransom beobachtete die Straßenbrücke
über den Fluß vom Dach seines Hauses aus und wartete darauf, daß die letzten
Bewohner der Stadt nach Süden flohen. Auch Larchmont wirkte inzwischen völlig
verlassen, denn außer Johnstones letzten Gemeindemitgliedern waren Ransoms
Nachbarn schon längst abgefahren. Ransom schlenderte durch menschenleere
Straßen und beobachtete riesige Staubsäulen über der schweigenden Landschaft,
die in Flammen zu stehen schien. Hellgraue Flugasche, die von den Außenbezirken
der Stadt herübertrieb, bedeckte Häuser, Straßen und Gärten, als sei irgendwo
in der Nähe ein Vulkanausbruch erfolgt; auch die einsamen Kais und Bootshäuser
unten am Fluß lagen unter dieser dicken Ascheschicht, die ihre Konturen wie ein
Leichentuch verbarg.
    Ransom verbrachte den größten Teil
seiner Zeit am Fluß oder auf dem Boden des ehemaligen Sees. In Ufernähe waren
die großen Schlammhügel bereits getrocknet und bildeten jetzt eine niedrige
Dünenkette, deren Grate sich in der Sonne gelb zu färben begannen. Ransom baute
sich ein primitives Floß aus Treibholz und stakte es unbeholfen durch die
letzten Tümpel, bis er schließlich wieder den Fluß erreichte.
    Obwohl der Kanal sich weiter verengt
hatte, war er noch immer ziemlich tief, so daß Ransom keinen Versuch machte,
ihn zu Fuß zu durchschreiten. Allerdings hatte sich das früher so klare Wasser
inzwischen in ein öliges

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