Ballard, James G.
daß das leichte
Boot wie ein Pfeil über das ölig Wasser zu fliegen schien.
»Ich komme mit, Doktor. Aber zuerst
...« Er duckte sich, während das Boot ein kurzes Stück offenes Wasser
durchquerte. »... Zuerst muß ich meinen Vater holen.«
Ransom griff nach Catherines Hand. Er
beobachtete Philip, der das Skiff unvermindert rasch vorantrieb, und sah in
seinem Gesicht nur die starre Maske des schwarzgekleideten Mannes, der
verlassen hinter ihnen am Ufer zurückgeblieben war.
Nach halbstündiger Fahrt zwischen
hohen Schlammbergen und weißen Dünen erreichten sie schließlich eine
ausgetrocknete Lagune in der Nähe des früheren Ufers. Hier berührte der träge
dahinströmende Fluß fast den Rumpf eines alten Segelschiffs, das im Schlamm
festsaß. Alle Fahrzeuge, an denen sie bisher vorbeigekommen waren, hatten
schmutzig und trübselig verwahrlost ausgesehen, aber dieses Schiff war
äußerlich untadelig erhalten und blitzte geradezu vor Sauberkeit. Die
Messingbullaugen schienen erst vor wenigen Stunden poliert worden zu sein.
Neben dem Schiff führte ein weißgestrichener Landungssteg ans Ufer – oder
dorthin, wo früher das Seeufer gewesen sein mußte. Der Mast trug keine Segel
mehr, war aber einschließlich aller Rahen bis zur äußersten Spitze glänzend
gefirnißt.
»Philip, was soll das ...?« begann
Ransom verblüfft und spürte dann Catherines warnenden Händedruck. Philip legte
wenige Meter vom Landungssteg entfernt an und ging vor ihnen her an Bord. Am
Ende der Gangway blieb er zögernd stehen. »Ich brauche Ihre Hilfe, Doktor«,
sagte er mit der leisen Stimme, die Ransom von früher her in Erinnerung hatte.
Er zeigte auf das Deck und die Kabine und fügte mit verständlichem Stolz hinzu:
»Das ist nur ein Wrack, wissen Sie. Ich habe alles aus verschiedenen Teilen
zusammengesetzt und repariert, die mir zufällig in die Hände gekommen sind.« Er
ging in die dunkle Kabine voraus.
Im Mittelpunkt der spartanisch
einfach ausgestatteten Kabine saß ein grauhaariger alter Neger in einem
Schaukelstuhl. Er trug ein verblichenes Khakihemd und Cordsamthosen, die beide
immer wieder geduldig gestopft worden waren, so daß sie nur aus Flickstellen zu
bestehen schien. Als Ransom die aufrechte Haltung und die breiten Schultern des
Mannes sah, glaubte er zunächst, einen Fünfzigjährigen vor sich zu haben. Dann
gewöhnten seine Augen sich jedoch an das ungewisse Halbdunkel, das in der
Kabine herrschte, und er sah an den dünnen Armen und Beinen, daß der Neger
mindestens fünfundsiebzig sein mußte. Trotz dieses hohen Alters hielt er sich
bewundernswürdig aufrecht und drehte langsam den Kopf zur Seite, als Philip
sich ihm näherte. Der schwache Lichtschein, der durch die verhängten Bullaugen
drang, wurde von opaken, blinden Augen reflektiert.
Philip beugte sich über ihn. »Vater,
wir müssen jetzt fort. Wir fahren nach Süden an die Küste.«
Der alte Neger nickte. »Ich verstehe,
Philip. Willst du mich nicht deinen Freunden vorstellen?«
»Sie kommen mit und helfen uns. Das
hier ist Doktor Ransom und Miß ...«
»Austen. Catherine Austen.« Sie trat vor
und berührte die klauenartige Hand des Alten. »Ich freue mich, Ihre
Bekanntschaft zu machen, Mister Jordan.«
Ransom sah sich in der Kabine um.
Offenbar war Philip nicht mit dem alten Neger verwandt, aber er vermutete, daß
dieser blinde Alte der Pflegevater des Jungen gewesen war, dessen unsichtbare
Gegenwart er seit Jahren hinter Philip gespürt hatte. Tausend rätselhafte
Erscheinungen waren nun plötzlich klar – deshalb hatte Philip sein Essen immer
mitgenommen, anstatt Ransom auf dem Hausboot Gesellschaft zu leisten, und
deshalb war er im Winter meistens fast verhungert, obwohl Ransom ihn so
reichlich unterstützt hatte.
»Philip hat mir schon viel von Ihnen
erzählt, Doktor«, sagte der alte Mann mit sanfter Stimme. »Ich habe Sie immer
für seinen besten Freund gehalten.«
»Deshalb bin ich jetzt der Meinung,
wir sollten rechtzeitig ans Meer fahren, Mister Jordan, bevor die Dürre das
Land endgültig in eine Wüste verwandelt. Fühlen Sie sich der Reise körperlich
gewachsen?«
Der leise Zweifel in seiner Stimme
brachte Philip sofort auf. »Natürlich ist er ihr gewachsen!« Er trat zwischen
Ransom und den Alten. »Keine Angst, Vater, ich lasse dich nicht im Stich.«
»Danke, Philip.« Der alte Mann sprach
unverändert ruhig. »Am besten bereitest du gleich alles vor. Nimm nur soviel
Lebensmittel und Wasser mit, wie du tragen kannst.«
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