Ballard, James G.
langsam seinen Gummianzug aus. »Fünf«, antwortete er. Als er sich die
schmerzende Backe rieb, fiel ihm ein, daß er und Judith jetzt ähnlich
gezeichnet waren. »Drei sind ziemlich groß – draußen im Meer scheint es
reichlich Futter zu geben. Einen habe ich leider zurücklassen müssen.«
»Um Himmels willen, warum denn?«
Judith richtete sich auf und starrte ihn entsetzt an. »Wir müssen Grady drei
abgeben, und du weißt selbst, daß er nicht mit kleinen zufrieden ist! Dann
bleiben uns nur zwei für heute!« Sie sah sich verzweifelt in der winzigen Hütte
um, als hoffe sie, in jeder Ecke könne plötzlich auf magische Weise ein großer
Hering für sie liegen. »Ich verstehe dich einfach nicht, Charles. Jetzt mußt du
heute abend noch einmal hinaus.«
Ransom gab den Versuch auf, seine
hohen Stiefel auszuziehen, die wie der Anzug aus Autoschläuchen bestanden, und
lehnte sich auf dem Bett zurück. »Das ist unmöglich, Judith. Ich bin jetzt
schon völlig erschöpft.« Er gebrauchte unwillkürlich ihren weinerlichen
Tonfall, als er fortfuhr: »Wir wollen doch nicht, daß ich wieder krank werde,
oder?« Dann lächelte er aufmunternd und drehte den Kopf zur Seite, damit Judith
nicht sah, daß er verletzt war. »Außerdem sind sie abends nicht wieder
unterwegs. Sie haben einen riesigen See eingebracht.«
»Das tun sie immer.« Judith machte
eine schwache Handbewegung. Sie hatte sich noch immer nicht von Ransoms
Krankheit erholt. Ihn zu pflegen und Nahrung für sie beide zu erbetteln, war
schlimm genug gewesen, aber die Tatsache, daß ihr Versorger zwei Wochen lang
ausgefallen war, hatte ihr wesentlich mehr zugesetzt. »Kannst du nicht ans Meer
gehen und dort fischen? Warum mußt du immer das Wasser stehlen?«
Ransom reagierte zunächst nicht auf
ihre Vorwürfe. Er hielt seine vor Kälte starren Hände an den Ofen. »Das Meer
ist gar nicht erreichbar, verstehst du? Überall gibt es nur Salz, Salz und
nochmals Salz. Außerdem habe ich kein Netz.«
»Charles, was ist mit deinem Gesicht?
Wer hat das getan?«
Einen Augenblick lang machte ihr
empörter Tonfall Ransom wieder Mut, weil er zu beweisen schien, daß Judith noch
immer so selbstbewußt wie vor fünf Jahren war, als sie die Johnstone-Siedlung
aus eigenem Antrieb verlassen hatte. Dieses Gefühl der Unabhängigkeit richtete
Ransom etwas auf, so daß er sich fast über die Verletzung freute, die es an den
Tag gebracht hatte.
»Wir sind kurz mit ihnen
aneinandergeraten. Dabei hat mich ein Paddel erwischt.«
»Mein Gott! Wessen Paddel? Jordans?«
Als Ransom schweigend nickte, sagte sie erbittert: »Eines Tages schlägt ihm
noch jemand den Schädel ein.«
»Er hat nur seine Pflicht getan.«
»Unsinn. Er fällt immer über dich her
und läßt die anderen laufen.« Sie sah Ransom kritisch an und lächelte dann sogar.
»Armer Charles.«
Ransom zog die Stiefel bis an die
Knöchel hinab, durchquerte den winzigen Raum und setzte sich neben Judith auf
die Bettkante. Als er sich in der kümmerlichen Hütte umsah, fiel ihm wieder
einmal auf, wie sehr seine Lebensumstände sich in den vergangenen fünf Jahren
verschlechtert hatten, seitdem Judith zu ihm zurückgekommen war. Er war sich
aber auch darüber im klaren, daß diese Erscheinung auf alle Siedlungen an der
Küste zutraf, die in einem ständigen Niedergang begriffen waren. Natürlich
hatte er jetzt die Aufgabe, sie beide zu ernähren, und Judith konnte ihn dabei
kaum unterstützen, aber sie bewachte zumindest ihre wenigen Vorräte, solange er
unterwegs war. Überfälle auf die isolierten Hütten einzelner Familien waren in
letzter Zeit immer häufiger geworden.
In den ersten Jahren, als Judith noch
mit Hendry in der Siedlung lebte, war Ransom aufgefallen, daß sie immer
merkwürdiger und aggressiver wurde, woraus er damals geschlossen hatte, ihre
Persönlichkeit sei dem Leben am Strand nicht gewachsen und zerbreche allmählich
daran. Später, als Hendry Johnstones Stellvertreter geworden war, erwies sich
seine Verbindung zu Judith als hinderlich. Ihre spitze Zunge und ihre
unberechenbare Art machten sie bei Johnstones Töchtern und den anderen Frauen
zusehends unbeliebt. Judith hatte die Siedlung aus eigenem Antrieb verlassen.
Nachdem sie einige Zeit gefährlich in den zerfallenen Hütten am Rand der
Salzwüste gelebt hatte, war sie eines Tages bei Ransom aufgetaucht und hatte an
die Tür seiner Behausung geklopft. Erst dann wurde Ransom klar, daß Judith zu
den wenigen Menschen gehörte, die das Leben am
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