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Ballaststoff

Ballaststoff

Titel: Ballaststoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Kellnerin trug sie ein Organ nach dem anderen auf einem silberfarbenen, metallenen Tablett zur Waage und verrichtete stumm und mit mürrischem Gesicht ihre Tätigkeit.
    Der Magen und sein Inhalt wurden untersucht. Auch wenn Angermüller seinen Blick immer wieder starr an die Wand knapp oberhalb des Geschehens heftete, den Geräuschen und vor allem dem durchdringenden Gestank war nicht zu entkommen. Die Staatsanwältin Frau Dr. Kunz, die direkt vor ihm stand, versenkte ihre Nase immer wieder tief in ihren Seidenschal, wo sie höchstwahrscheinlich erhoffte, ihr Parfüm zu riechen, das aber mit Sicherheit bereits von der hier wabernden Mischung überlagert wurde.
    Der Kriminalhauptkommissar spürte plötzlich einen leichten Schwindel. Das Stehen, die Enge, der bestialische Gestank – es gab wahrlich angenehmere Orte und Tätigkeiten. Faulig, süßlich, dumpf, aasig. Um sich abzulenken, suchte Angermüller nach passenden Bezeichnungen für diese olfaktorische Zumutung. Dennoch blieb sie einfach unbeschreiblich. Zum Frühstück hatte er nur ein trockenes Brötchen und etwas Tee zu sich genommen, worüber er jetzt sehr froh war. Er warf einen Blick auf Jansen, der sich mit unbewegter Miene links von ihm postiert hatte. Nur an den zuckenden Kiefergelenken des Kollegen war dessen ebenfalls große Anspannung zu erkennen.
    Es geht vorbei, auch diese Obduktion dauert nicht ewig, sagte sich Angermüller, als die Präparatorin zur Handsäge griff, um damit die Schädeldecke oberhalb der Ohren zu öffnen, damit das Gehirn entnommen werden konnte. Die Frau mit ihrer langen Plastikschürze ließ Angermüller an eine Schlachterei denken, nur dass die Verkäuferinnen dort üblicherweise etwas freundlicher waren. Nun ja, der Patient bekam von dem wenig liebreizenden Wesen der Dame eh nichts mehr mit. Die Konzentration des Kommissars ließ zusehends nach, und aus einer Art Selbstschutz schweiften seine Gedanken ab.
     
    Er war gerade dabei gewesen, sein Fahrrad vorm Institut für Rechtsmedizin anzuschließen, als ihm jemand auf die Schulter tippte.
    »Ja, Herr Angermüller! Guten Morgen!«, sagte eine weibliche Stimme erfreut. »Tja, scheinbar muss es erst einen Toten geben, damit wir uns mal wieder sehen.«
    Eine aparte, dunkelhaarige Frau in einem kurzen Etuikleid stand hinter ihm. Trotz der hohen Absätze ihrer Pumps war sie von ziemlich kleiner Statur. Sie sah den Kommissar unter ihrer kurzen Ponyfrisur herausfordernd an.
    »Ach, Frau Dr. Ruckdäschl. Guten Morgen.«
    »Unsere Verabredung haben Sie wohl vergessen?«
    »Welche Verabredung?«, fragte Angermüller irritiert, der einen Moment zweifelte, ob er da vielleicht irgendetwas verschludert haben könnte. Doch nein, konkret verabredet waren sie wohl nicht gewesen.
    »Ach so, Sie müssen entschuldigen, Frau Dr. Ruckdäschl. Ich hatte in den letzten Wochen wirklich viel um die Ohren.«
    Die junge Rechtsmedizinerin sah ihn mit einem kecken Lächeln an. »Haben wir das nicht alle? Jetzt haben wir ja eine neue Chance. Wie sieht’s denn diese Woche bei Ihnen aus?«
    »Das könnte was werden«, sagte Angermüller ganz spontan. Er wusste selbst nicht, warum.
    »Schön! Wann? Heute, morgen, übermorgen?«, fragte Frau Dr. Ruckdäschl freudig, die mit dieser Antwort anscheinend nicht gerechnet hatte.
    »Ich ruf Sie heute Nachmittag an. Ihre Nummer hab ich ja noch.«
    »Wunderbar! Ich freu mich drauf. Und übrigens: Frau Dr. Ruckdäschl klingt grässlich. So alt, so förmlich. Ich bin Anita. Bis später, Georg.«
    Und damit war sie die Stufen zum Eingang des Instituts hochgeeilt.
     
    »Jetzt wird es spannend, meine Damen und Herren«, verkündete Schmidt-Elm. Angermüller versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen und sich wieder zu sammeln. Die beiden Rechtsmediziner beugten sich gerade über den Hals des Toten, präparierten die einzelnen Muskeln über dem Kehlkopf ab und klappten sie zur Seite.
    »Hier in Höhe des Kehlkopfes befinden sich Einblutungen in den geraden vorderen Halsmuskeln. Im Zusammenhang mit den äußeren Malen am Hals ist damit anzunehmen, dass der Mann gewürgt wurde. Wir schauen uns jetzt noch das Zungenbein an.«
    Eine leichte Gänsehaut überzog plötzlich die nackten Arme des Kommissars. Es war nicht nur der Kontrast zwischen der Temperatur hier drinnen und dem angenehm warmen Sommertag draußen. Immer wieder war es für Angermüller eine eigentümliche Erfahrung zu erleben, wie die Körper der Opfer im Sektionssaal letztlich nur noch Material waren, das

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