Ballaststoff
doch bei Ihnen beschäftigt?«
»Mehr oder weniger.«
»Und was heißt das konkret, Herr Bohm?«
»Das ist eine längere Geschichte«, seufzte der Firmenchef. Angermüller schätzte ihn auf Anfang 30. Er war schlank, mittelgroß, hatte blondes, lockiges Haar und in seinem linken Ohr schimmerte ein kleiner Stein. Seine glatten, gleichmäßigen Züge waren sonnengebräunt. Ein gut aussehender Mann.
»Erzählen Sie doch«, forderte Jansen ihn etwas ungehalten auf. »Wir mögen Geschichten.«
Hauke Bohm streifte Jansen mit einem Blick, der Befremden ausdrückte. So redete man sonst wohl nicht mit ihm.
»In einem unserer Märkte hier in der Region kam uns die Geschäftsführerin abhanden. Verliebt sich in einen Typen aus Oberbayern, und weg war sie. Kaum zu glauben, was? Das war Anfang letzten Jahres, im Februar. Und da kam Kurt hier vorbei und fragte nach einem Job. Genau zu diesem Zeitpunkt. Gut, er war schon etwas älter. Dafür hatte er lebenslange Erfahrung als Bioladenpionier mit einem Kollektiv in Berlin, später mit einem eigenen Geschäft, dann als Geschäftsführer in Veggy-Restaurants überall in der Welt, und so weiter und so weiter. Was er so erzählte, hat mich einfach überzeugt. Den schickt der Himmel, hab ich gedacht, und natürlich hab ich ihn sofort eingestellt.«
»Als Geschäftsführer?«, fragte Angermüller.
»Ja, in unserem Markt in Bad Schwartau. Das fing hervorragend an mit ihm in dem Laden, und die ersten Wochen lief es super. So sah es jedenfalls aus.«
Er unterbrach sich und starrte wieder das Stillleben mit den Sommerblumen an.
»Ich hab mich von Kurt einwickeln lassen. Das ist mir nie zuvor passiert. Der Typ hat es wirklich geschafft, mir die größten Schoten als Tatsachen zu verkaufen. Die ersten Wochen lief es in dem Laden ganz normal weiter, und keiner hat was gemerkt. Dann plötzlich häuften sich Überhänge bestimmter Artikel, andere Artikel fehlten total, mit den Umsätzen ging es immer weiter runter.«
Bohm schüttelte den Kopf. Bestimmt fiel es jemandem wie ihm nicht leicht zuzugeben, dass er einem Riesenirrtum aufgesessen war. Er straffte sich.
»Nun gut. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, ich nenne Ihnen nur mal ein kleines Beispiel: Er hatte keine Ahnung vom Umgang mit dem Warenwirtschaftssystem, mithilfe einer Praktikantin hat er sich da durchlaviert. Als wir ihn fragten, warum er immer wieder Bestellungen telefonisch durchgab, wollte er uns etwas von einem Fehler im Programm weismachen. Kurt Staroske hat es geschafft, diesen gut eingeführten Laden binnen kürzester Zeit fast gegen die Wand zu fahren.«
»Und was war mit Schadenersatz? Konnten Sie Staroske nicht juristisch beikommen?«
Bohm lachte laut auf. »Einem nackten Mann können Sie nicht in die Tasche greifen, oder? Kurt Staroske hatte nichts, absolut nichts. Außer Anwaltskosten hätte uns das nur Ärger eingebracht. Da war kein Cent zu holen.«
»So sind Sie auf dem ganzen Schaden persönlich sitzen geblieben?«
Der Mann zuckte mit der Schulter. »Hätte ich nicht einen der größten Biogroßhändler Deutschlands hinter mir stehen, der an Öko & Frisch beteiligt ist, hätte mich das Kopf und Kragen kosten können.«
»Und Staroske, den haben Sie sofort rausgeschmissen?«
»Natürlich. Sofort! Hausverbot habe ich dem Mann erteilt!«
Er unterbrach sich und sah die Beamten mit einem müden Lächeln an.
»Ich glaube an Bio. Ich bin ein Überzeugungstäter. Ich denke, irgendwann wird es nur noch Bio geben, wenn Politiker, Bauern und Verbraucher endlich begriffen haben, dass wir ohne Nachhaltigkeit unsere Umwelt auf Dauer nicht schützen und erhalten können. Wissen Sie, wir versuchen in unserer Firma, menschengemäße Arbeitsbedingungen zu schaffen, aber natürlich muss letztendlich alles korrekt und professionell laufen. Bei der Einstellung von Mitarbeitern ist mir in erster Linie die fachliche Qualifikation wichtig, ihr persönlicher Bezug zur Biokost ist zweitrangig, den bekommen sie ohnehin binnen kürzester Zeit, wenn sie nicht völlig unzugänglich sind. Hauptsache ist erst einmal, die Leute sind Profis im Umgang mit Waren und Kunden. Ich hab immer gesagt, mit diesen Dinos aus den alten, kleinen Bioläden will ich nichts zu tun haben. Die haben zwar viel Idealismus, aber dafür keine Ahnung vom Geschäft. Bei Kurt hab ich die einzige Ausnahme gemacht. Das wird mir nie wieder passieren.«
Der junge Mann war so ganz anders als die Chefs der kleinen Läden, die Angermüller sonst kannte.
Weitere Kostenlose Bücher