Ballnacht mit dem griechischen Milliardaer
vergangen, und der Herbst, der inzwischen Einzug gehalten hatte, war hier in England deutlich ungemütlicher als in Griechenland. Die Reise hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, denn sie war nur sehr langsam vorangekommen. Die meiste Zeit war sie getrampt, doch zwischendurch hatte sie immer wieder Pausen einlegen müssen, um sich mit Gelegenheitsjobs Geld zu verdienen. Und vielleicht, ganz vielleicht hatte sie es auch nicht eilig gehabt, weil sie nicht wusste, ob die Frau, die sie hier zu finden hoffte, sie überhaupt willkommen heißen würde.
Mit Nikos’ Scheck wäre sie natürlich viel schneller vorangekommen und hätte sich Übernachtungen in guten Hotels leisten können, anstatt in Jugendherbergen oder anderen einfachen Unterkünften an den Orten, an denen sie Arbeit fand. Aber Helena war noch immer froh, ihn nicht angenommen zu haben. Es hätte sich wie eine Bezahlung für etwas angefühlt, das sie ihm freiwillig geschenkt hatte – auch wenn er es nicht haben wollte. Außerdem hatte sie durch die Ablenkung, die die Arbeit bedeutete, nicht so viel an ihn denken müssen, und das war gut so.
Wem willst du etwas vormachen? dachte Helena reumütig. Es verging kaum eine Minute am Tag, in der die Erinnerungen an Nikos sie nicht quälten, und manchmal hatte sie Angst, dass es vielleicht immer so sein würde. Denn es war völlig sinnlos, ihn zu lieben, das wusste sie. Er hatte sie aus seinem Leben gestrichen, wie vermutlich schon viele vor ihr. Wahrscheinlich dachte er nicht mal mehr an sie und war längst wieder zur Tagesordnung übergegangen. Vermutlich hatte er sie auch längst durch eine andere ersetzt, die ihm jetzt bereitwillig das Bett wärmte, bis er ihrer überdrüssig wurde und sie wegstieß. Er war kalt und gefühllos und nicht bereit, sein Herz noch einmal zu öffnen – für niemanden, auch nicht für sie. Deshalb war es das Beste, weiterzumachen und ihn ebenfalls zu vergessen. Helena seufzte unterdrückt. Sie wünschte nur, ihr stures Herz würde das auch endlich einsehen.
Das Hupen eines Autos riss sie aus ihren Gedanken, und als sie sich umwandte, sah sie einen silbernen Van, der in die Einfahrt zu dem Haus einbiegen wollte, vor dem sie stand. Hastig sprang sie zur Seite, um dem Wagen Platz zu machen, der bis zur Garage vorfuhr und dort parkte. Helena beobachtete, wie zwei Jungen aus dem Wagen stiegen. Sie warfen ihr einen neugierigen Blick zu, dann gingen sie redend und lachend zum Haus, wo ein dunkelhaariger Mann mit grauen Schläfen ihnen die Tür öffnete. Alle drei sahen sich um und warteten offensichtlich auf die Mutter der Familie, die den Van gefahren hatte.
Auch Helena blickte auf die Fahrertür des Autos, dem jetzt eine schlanke Frau entstieg. Ihr blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und sie trug Jeans und einen blauen Pullover. Sie lächelte ihrer Familie zu, und Helena, die ihr Gesicht erst jetzt wirklich sehen konnte, vergaß für einen Moment zu atmen. Wenn sie noch Zweifel gehabt hatte, ob diese Frau wirklich ihre Mutter war, dann waren sie jetzt ausgeräumt: Georgia Whitman war eine ältere Ausgabe von ihr selbst.
Der Mann und die Kinder schienen das in diesem Moment ebenfalls zu bemerken, denn sie starrten wie gebannt zwischen den beiden Frauen hin und her, und als Georgia die irritierten Blicke ihrer Familie bemerkte, drehte sie sich um. Für einen Moment sahen sie sich in die Augen, und Helena wurde es gleichzeitig heiß und kalt. Sie sahen sich so ähnlich, dass es fast unheimlich war, und die Verwandtschaft zwischen ihnen ließ sich keinesfalls leugnen. Sie stand tatsächlich vor der Frau, die sie vor vierundzwanzig Jahren geboren hatte.
Auf dem Gesicht von Georgia Whitman wechselten die Ausdrücke: Zuerst war sie überrascht, dann verwirrt, und dann schien sie sie zu erkennen, und ihre Hand flog zu ihrem Mund. „Oh mein Gott!“ Es war nur ein Flüstern. „Helen?“
Helena wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sie sich ausgemalt hatte, wie das Wiedersehen mit ihrer Mutter ablaufen würde, dann nicht so. Sie war überzeugt davon gewesen, erst beweisen zu müssen, dass sie wirklich die lange verlorene Tochter war, hatte mit Ablehnung, Zweifel und vielleicht sogar Wut gerechnet. Aber auf dem Gesicht von Georgia Whitman stand nur eins: Freude. Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen, während sie langsam zu Helena ging. Vor ihr blieb sie stehen, streckte zögernd die Hand nach ihr aus und berührte ihr Haar, so als könnte sie nicht fassen, dass sie
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