Ballsaison: Palinskis siebter Fall
hatte.
Nachdem Matreier, Franz und die Kinder gegangen waren und sich Gilbert mit seiner Pistole neben der Türe niedergelassen hatte, überlegte Harry, was es wohl zu bedeuten hatte, dass ihm Matreier so viel erzählt hatte.
Um das besser verstehen zu können, bat er Michael und Doris um eine Art psychologisches Profil des Doktors. Immerhin hatten die beiden das studiert. Na, man würde ja sehen.
* * *
Palinski war zwar hundemüde, dachte aber gar nicht daran, schon ins Bett zu gehen. Obwohl es bereits nach Mitternacht war, hätte er sicher noch kein Auge zugebracht. Zu sehr gingen ihm die Ereignisse des vergangenen Tages im Kopf herum.
So hatte er sich nach dem Essen beim frankophilen Loisl bald entschuldigt und war in sein Büro übersiedelt. Komisch, dachte er jetzt, da war er eben mit drei der besten Kriminalisten zusammengesessen, die er kannte und denen er ohne Zögern sein Leben anvertraut hätte. Und obwohl ihm das bewusste Tonband in seiner Tasche auf der Seele lag wie ein Zentnergewicht, war er keine Sekunde lang auf die Idee gekommen, einen der drei in sein belastendes Geheimnis einzuweihen. Was ihm vorhin im Restaurant völlig klar erschienen war, konnte er jetzt allerdings überhaupt nicht verstehen. Wieso hatte er geschwiegen, statt das Gespräch zu suchen? Es konnte doch nicht sein, dass er Franca, Helmut oder Anselm nicht traute?
Er einigte sich mit sich darauf, dass er selbst erst die komplette Problemstellung kennen musste, eher er eine dritte Person ins Vertrauen ziehen und um Rat bitten konnte. Ja, genau das musste es sein, was ihn bisher davon abgehalten hatte. Vor allem musste er vorher mit Juri sprechen. Unbedingt, denn ohne den alten Russen würde wahrscheinlich gar nichts gehen.
Während er überlegte, wo sich denn sein kleines, schon lange nicht mehr benütztes Diktiergerät befinden könnte, mit dem er das Tape abhören konnte, begann er systematisch, alle jene Caféhäuser anzurufen, die bekannt dafür waren, dass sich Juri dort die tägliche Letzte Ölung verpasste.
Im Café ›Residenz‹ war er dann teilweise erfolgreich. Die Serviererin teilte ihm mit, dass der Doktor Franz den Wahnsinnigen schon abgeholt hatte, um ihn ins Bett zu bringen.
Doktor Franz war ein Taxifahrer, der dem wilden Russen dank seiner medizinischen Ausbildung täglich mindestens einmal das Leben rettete. Dr. Franz, dessen Nachnamen niemand so genau kannte, angeblich irgendetwas wie ›Wagenberger‹ oder ›-heber‹, hatte vor mehr als 25 Jahren seinen Mediziner gemacht. Nach einigen Jahren bei den ›Ärzten ohne Grenzen‹ hatte er in seiner Heimatstadt keinen adäquaten Job gefunden und übergangsweise begonnen, Taxi zu fahren.
Inzwischen dachten das Wiener Original und einer der besten Freude Juris im Traum nicht mehr daran, den Platz hinter dem Lenkrad wieder aufzugeben. Kein Wunder, machte er doch alleine mit seiner täglich in der größten heimischen Tageszeitung erscheinenden Kolumne ›Jede Nacht unterwegs‹ gerüchteweise mehr Geld als ein Primararzt.
Nun gut, dann wusste Palinski wenigstens, wo er den Russen morgen am späteren Vormittag antreffen konnte. Er musste ihn nur rechtzeitig erwischen.
So, jetzt konnte sich Palinski auf das Band konzentrieren. Die geheimnisvolle Botschaft, die sich darauf befand oder besser, die er darauf erwartet hatte, erwies sich allerdings als herbe Enttäuschung. Denn die technisch sehr schlechte und von zahlreichen Nebengeräuschen überlagerte Aufnahme bestand aus einem in einer ihm nicht bekannten Sprache geführten, 3,23 Minuten langen Gespräch. Für Palinski hätte das Chinesisch, Kirgisisch oder Kisuaheli sein können. Er verstand nur Bahnhof, wusste aber nicht einmal in welcher Sprache.
5
Donnerstag, 5. Juni, vormittags
Bei der UEFA in Nyon jagte eine Krisensitzung die andere. Das Exekutivkomitee der Schiedsrichterkommission und das des Europäischen Fußballverbandes hatten eine gemeinsame Kommission ins Leben gerufen, die die Zusammenarbeit des Verbandes selbst sowie seiner verschiedenen Stellen mit den regionalen, nationalen und internationalen Polizeistellen koordinieren und für den Kontakt mit den Koordinierungsstellen anderer Organisationen verantwortlich sein sollte.
Der regelmäßigen sowie der speziellen, EM-bedingten Überprüfung der Schiedsrichter und -assistenten war jetzt ad hoc noch eine weitere, durch das aktuelle Geschehen bedingte gefolgt, die derzeit noch im Gange war.
Das riesige Problem war, dass es einen toten
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