Ballsaison: Palinskis siebter Fall
Schiedsrichter gab. Und damit eine Menge von Ahnungen, Gerüchten und Befürchtungen, derzeit aber noch so gut wie keine konkreten Hinweise. Der ermordete österreichische Kollege hatte offenbar Hinweise auf Bestechung, Schiebung oder Ähnliches erhalten. Aber mit keinem seiner Kollegen im nationalen Verband darüber gesprochen, nach bisherigem Wissensstand auch mit keinem Freund oder Bekannten. Bedeutete das, dass er seinen Kollegen nicht traute, weil diese möglicherweise selbst …? Das offizielle Nyon weigerte sich derzeit noch, diese Möglichkeit auch nur anzudenken. Oder hatte Mellnig einfach keine Zeit oder Gelegenheit gehabt, sich jemandem anzuvertrauen? Vielleicht war er ein Geheimniskrämer, der mit seinem Wissen erst an höchster Stelle herausrücken wollte? Damit seine Bedeutung auch richtig gewürdigt würde? Wer konnte das schon wissen, Mellnig war noch nicht lange auf der internationalen Liste und daher auch noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt.
Das zuletzt gegen vehemente Bedenken und zahlreichen Widerstand eingezogene Sicherheitsnetz, auf das man sich in der letzten Nacht geeinigt hatte, hieß ›Untersuchung der jeweils nominierten Schiedsrichterteams mit Polygrafen‹.Auf gut Deutsch, die Pfeifenmänner und ihre Assistenten an den Linien sollten vor ihren Spielen einen Lügendetektortest über sich ergehen lassen.
Große Aufregung bei den Betroffenen. Einige der Spitzenleute trugen sich in ihren ersten Reaktionen sogar mit dem Gedanken, diese »menschenunwürdige Prozedur« zu verweigern.
Generalsekretär de Graaf glaubte allerdings nicht, dass erstklassige Leute wie Bisinetti, Mercurio oder Kandisberger eine Disqualifikation riskieren würden. Eine Weigerung, den Test über sich ergehen zu lassen, konnte natürlich auch als Schuldeingeständnis angesehen werden.
»Wie auch immer«, meinte de Graaf, »falls ein Schiedsrichter ausfallen sollte, stehen bereits genug erstklassige Ersatzleute in den Startlöchern, um einzuspringen .«
In diese angespannte Atmosphäre hinein, einer Melange aus Stress, Frust, Unsicherheit, Angst und gegenseitigen Verdächtigungen, schlug die Meldung vom Versuch, das Spiel Österreich gegen Deutschland möglicherweise durch die Entführung der Tochter eines Spielers zu beeinflussen, ein wie eine Bombe.
* * *
Palinski fühlte sich etwa so wie das Kaninchen unter dem hypnotisierenden Blick der Schlange. Zumindest dachte er, dass sich das Kaninchen so fühlen musste, wie er sich seit gestern fühlte. Seit ihn das Problem »Attentat« beschäftigte. Ein Attentat, das er verhindern sollte, von dem er aber nicht einmal wusste, gegen wen es sich richtete. Es war so, als ob man von einem …, ihm fiel kein Vergleich ein, … von einem … Fußpfleger erwartete, eine Operation am offenen Herzen durchzuführen. Und ihm dazu noch die Augen verband.
Natürlich hinkte dieser Vergleich gewaltig, er kam aber der probleminhärenten Frage von Leben und Tod bedrohlich nahe. Und das war es, was ihn seit dem Aufwachen heute Morgen beschäftigte.
Wilma, die bereits gestern gespürt haben musste, dass ihn etwas über Gebühr beschäftigte, konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten. »Gibt es etwas, das du loswerden möchtest ?« , sie blickte ihn liebevoll besorgt an.
Nun war es so weit. Er wollte zwar noch immer nicht sprechen, aber es musste wohl sein. Der schlechteste Weg, mit dem Problem umzugehen, wäre, es zu ignorieren. Und vor allem, die Zeit drängte. Wenn die Information zutraf, und dafür sprach einiges, dann würde das Attentat in drei Tagen stattfinden. Im Wiener Ernst-Happel-Stadion während des Spieles Österreich gegen Deutschland.
»Mein Gott, in was bist du denn da hineingeraten ?« , Wilma starrte ihn entgeistert an, nachdem er ihr die ganze Geschichte erzählt hatte. »Ich meine, wie kommen denn diese Menschen, wer immer sie auch sein mögen, auf die absurde Idee, dass du den Lauf der Dinge ändern könntest? Du kannst doch auch nicht mehr machen als die Polizei verständigen, meinetwegen auch deinen Freund, den Innenminister .« Der letzte Teil ihrer Aussage hatte reichlich ironisch, fast schon zynisch geklungen.
Und möglicherweise ging nicht einmal das, zumindest nicht so ohne Weiteres . Denn wer konnte schon sagen, auf welcher Seite Fuscheé stand. Bisher wusste Palinski noch nicht einmal, welche Seiten es überhaupt gab und wie diese aussahen.
»Da hast du natürlich völlig recht«, bestätigte er Wilmas Lagebefund. »Aber was soll ich machen?
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