Ballsaison: Palinskis siebter Fall
auch nur indirekt.
Rosselic hatte daraufhin eingeräumt, beim Wegfahren vom ›Jägerhof‹ die Position des Fahrersitzes verändert vorgefunden zu haben. Der mit knapp 1,75 m nur mittelgroße Mann hatte den Sitz um zwei Einrastungen nach vorne schieben müssen, um mit den Beinen die Pedale zu erreichen. Nachdem sich der Chef des FWC Eggenbach daran erinnert hatte, gab er der Polizei auch die Genehmigung, den Pajero kriminaltechnisch zu untersuchen. Etwas widerwillig, aber immerhin.
Dabei hatte sich der erste Eindruck bestätigt, dass das Fahrzeug weder mit Gewalt geöffnet noch kurzgeschlossen, sondern mit einem Schlüssel in Betrieb genommen worden war. Ein Zweitschlüssel zum Fahrzeug lag immer in einer Schreibtischlade in Rosselics Büro in Eggenbach und war quasi für jedermann zugänglich. Und das bedeutete bei täglichen Öffnungszeiten von 9.00–21.00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen sogar bis 23.00 Uhr, einige 100 Leute am Tag.
Die nächste Frage war also nicht, wer konnte sich den Schlüssel zu dem Wagen verschafft haben? Sondern: Wer hatte gewusst, wo sich der Pajero an diesem Abend von 21.00 bis 24.00 Uhr befand?
* * *
Weniger erfolgreich verlief es an anderen Fronten:
Sabine Pleschke, nach wie vor getarnt als Jan Paluda, war mit einer Gruppe polnischer Studenten in einem Kleinbus unterwegs von Würzburg Richtung Nürnberg. Die dieser Tage meistgesuchte Person Deutschlands hatte noch immer keine Ahnung von der durch sie verursachten Aufregung und vor, mit ihren neuen Freunden abends an einer Party in der Nähe von Fürth teilzunehmen. ›Binchen‹ wurde langsam erwachsen und fand großen Gefallen daran.
Kaum Gefallen an dieser Entwicklung zeigte das Bundeskriminalamt (BK) und die nachgeordneten Dienststellen, die mit der Suche nach dem jungen Mädchen befasst waren. Für heute Abend war die Übergabe des Lösegeldes in Höhe von 1 Mio. Euro in Frankfurt vorgesehen. Die Einzelheiten der Übergabe wollte der Erpresser noch bekannt geben.
Inzwischen waren zwei weitere Erpresserschreiben und eine telefonische Drohung eingegangen, die ankündigten, ein Antreten Nachens bei der EM mit dem Tode seiner Tochter zu bestrafen. Da in allen diesen Fällen verschiedene Personen bzw. eine obskure Gruppierung die Verantwortung für die Entführung übernommen hatten, war Kriminaloberrat Dr. Wegener vom BKA, der die Aktion leitete, zunehmend überzeugt davon, dass es sich bei der Lösegeldforderung um die Tat eines Trittbrettfahrers handelte. Daher sollte die fingierte Geldübergabe heute Abend nur einem einzigen Ziel dienen: nämlich diesen Mistkerl aus dem Verkehr zu ziehen.
Nicht zuletzt hatte Palinski noch immer niemand Offiziellen gefunden, mit dem er über das Attentat sprechen konnte und auch wollte. Zuletzt hatte er zwar versucht, Helmut Wallner dafür zu interessieren. Doch der war selbst mehr als überarbeitet und hatte ihn, sachlich völlig zu Recht, an das BK bzw. zumindest an Miki Schneckenburger verwiesen.
Hier schloss sich der Kreis. Das war alles nicht wirklich hilfreich gewesen. Daher hatte sich Palinski auch von der Hoffnung auf Hilfe durch Dritte, vor allem der dafür vorgesehenen Stellen, verabschiedet und war wild entschlossen, das Problem selbst zu lösen. Wenn er bloß gewusst hätte, wie? Die wenigen Optionen, die er bisher überlegt hatte, waren nicht wirklich zielführend. Er konnte ja schlecht am Samstag selbst auf Brionigg schießen und ihn nur verletzen, nur um zu verhindern, dass der Mann am Sonntag von jemand anderem tatsächlich erschossen wurde. Also das konnte wirklich niemand von ihm verlangen.
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Dr. Lattuga hatte vergangene Nacht kaum geschlafen. Neben den üblichen Aufgaben seines Amtes und den zusätzlichen Verpflichtungen, die ein Riesenevent wie die Fußball-EM nun einmal mit sich brachte, hatte man den mächtigen Wiener Bürgermeister heute Morgen bereits kurz vor 4.00 Uhr aus dem Bett geholt. Grund für diese frühe Stunde war ein Bombenalarm im Rathaus gewesen. Da hatte er auf und hin müssen, so schwer ihm das nach dem Heurigenbesuch mit seinen Kollegen aus Budapest und Prag und den Delegationen aus diesen Städten auch gefallen sein mochte. Solche Besuche waren bis zum Ende der EURO 08 noch einige im Programm. Hoffentlich stand er das alles durch. Er fühlte sich zwar sehr …, na ja, recht gut, aber der Jüngste war er schließlich auch nicht mehr. Und das merkte er gerade jetzt besonders. 3.56 Uhr, was für eine Zeit, um schon wieder
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