Ballsaison: Palinskis siebter Fall
immer, es musste bald geschehen, denn der dritte ›Wumm‹ würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Da war Harry ganz sicher.
* * *
In Franca Wallners Büro im Kommissariat Josefstadt überschlugen sich inzwischen die Ereignisse. Zunächst war vor wenigen Minuten ein Foto von Evelyn Immenseh übers Internet eingetroffen. Ein Blick darauf hatte der Inspektorin genügt, um den vagen Verdacht, der sie seit gestern plagte, zu festigen. Ohne im Augenblick den Vergleich mit dem Aerobicvideo anstellen zu können, war sie sicher, dass es sich bei der grazilen, lasziv wirkenden Evy Immen auf dem Band und der Frau des in Wien ermordeten Architekten um ein und dieselbe Person handelte.
Kompliment, dachte Franca, die Frau war immerhin schon fast 40 und bewegte sich wie eine 20-Jährige. Na ja, fast zumindest. Sie hatte die Konsequenzen dieser Erkenntnis noch gar nicht richtig erfasst, als schon der nächste »Hammer« auf sie wartete. Es war Notar Dr. Franz Netuschil, der nach seinem Anruf von einem Streifenwagen abgeholt und ins Koat Josefstadt gebracht worden war.
»Sie müssen schon entschuldigen«, versuchte sich Netuschil zu rechtfertigen, »dass ich mich nicht früher gemeldet habe. Aber ich war im Ausland und habe erst heute Morgen vom Tod Mellnigs erfahren .« Er saß da wie ein besonders eifriger Schüler vor seiner strengen Lehrerin und hielt ihr den Brief hin. Wie ein Streber einen besonders gelungenen Aufsatz.
»Danke, dass Sie gleich gekommen sind«, entgegnete die Inspektorin und nahm das Schreiben. »Kennen Sie den Inhalt ?«
»Nein«, der Notar schüttelte den Kopf. »Ich habe den Brief lediglich übernommen und kann daher auch nur bestätigen, dass er mir von Arthur Mellnig am Freitag, den 29. Mai 2008 um 14.33 Uhr in meiner Kanzlei übergeben worden ist. Mit dem Auftrag, das Schreiben der Polizei auszufolgen, falls der Klient bis zum Ende der Fußballeuropameisterschaft stirbt.«
Er holte ein Protokoll aus der Aktentasche und legt es vor Franca auf den Tisch. »Was hiermit erfolgt ist. Bitte um Ihre Unterschrift«, er deutete auf eine bestimmte Stelle auf dem Papier.
Die Inspektorin bestätigte die Übernahme, dann öffnete sie das Kuvert, entnahm ihm das Schreiben und legt es vor sich auf den Schreibtisch.
Auf zwei eng beschriebenen Seiten führte Mellnig akribisch genau aus, wie und unter welchen Umständen er wann über bestimmte, angeblich geplante Unregelmäßigkeiten während der EURO 08 informiert worden war. Dabei ging es vor allem um die Beeinflussung von Spielergebnissen durch bewusste, vorsätzliche Fehlentscheidungen einiger Schiedsrichter und -assistenten zum Zwecke des Wettbetrugs. Angeblich war der anonyme Anrufer aufgrund seiner persönlichen Situation nicht in der Lage, die zuständigen Stellen bei der UEFA direkt in Kenntnis zu setzen. Auch fehlte es ihm an Glaubwürdigkeit, über die der als äußerst korrekt bekannte Mellnig nach Meinung des anonymen Informanten sehr wohl verfügte.
Den letzten Absatz des brisanten Dokuments musste Franca Wallner zweimal lesen, um seine Bedeutung für den Fall richtig zu erfassen. Hier stellte Mellnig klar, dass nicht er selbst den anonymen Anruf entgegengenommen hatte, sondern irrtümlicherweise eine befreundete dritte Person, die der Anrufer die ganze Zeit lang für Mellnig gehalten hatte. Der schüchterne Versuch, den Irrtum aufzuklären, war vom Anrufer mit der aggressiv wirkenden Aussage »Schon gut, Sie Feigling. Sie wollen sich auch nur Ihrer moralischen Verpflichtung gegenüber unserem Sport entziehen« im Keim erstickt worden. Und so hatte sich diese dritte Person ihrem Schicksal ergeben und zugehört. Mit »Diese Person hat mich in der Folge detailliert über den Inhalt dieses Telefongesprächs informiert« schloss das hochbrisante Schreiben.
Was diese Information so besonders interessant machte, war der Name dieser dritten Person. Denn deren Rolle in der ganzen Geschichte war bisher deutlich anders dargestellt worden als die, die ihr aufgrund des Inhaltes dieses Schreibens tatsächlich zuzukommen schien.
Plötzlich fügten sich einige lose Teile des Puzzles wie von selbst in ein stimmiges Gesamtbild. Falls das wirklich zutraf, was die Inspektorin vermutete, dann war das eine ungeheuerliche Geschichte. Ehe sie sich aber zu sehr in Spekulationen verlor, musste sie unbedingt noch mit einigen Leuten sprechen. Vor allem mit ihrem Mann und mit dem Kollegen in Zürich. Und vielleicht auch mit Palinski, der möglicherweise etwas
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