Baltasar Senner 03 - Busspredigt
Hollerbach. »Ich saß im Auto, parkte am Stadtplatz und wollte gerade heimfahren, da bemerkte ich Herrn Graf. Eine Frau hatte sich bei ihm untergehakt, zumindest glaube ich, dass es Herr Graf war. Ich bin einfach weitergefahren.«
»Anton muss zumindest früher eine Beziehung gehabt haben, schließlich hat er einen erwachsenen unehelichen Sohn«, sagte Baltasar.
»Echt? Da verreck! Der Hundling!«
Bewunderung spickte Hollerbachs Worte. In einigen Landstrichen galten solch amouröse Abenteuer immer noch als Auszeichnung, ein Erbe des Bayerischen Waldes, wo nach Ansicht von Historikern traditionell ein Übermaß an triebgesteuerten Liebesbeziehungen auf Zeit herrschte.
»So ein Hallodri, das wusst ich gar nicht, obwohl er bei uns regelmäßig eingekauft hat, immer gute Sachen, Geld hatte er, Schinken, Rinderfilet, Geselchtes, aber von einem Schrazn hat er nie was erzählt.«
»So lang hat Herr Graf auch nicht bei uns gelebt«, antwortete Agnes Wohlrab. »Er hat das Anwesen neben dem Pfarrhaus damals vom alten Maier gekauft, vor etwa drei Jahren, nein, ich glaub, vor vier Jahren war’s.«
»Er hat mal erwähnt, er stamme aus der Gegend bei Zwiesel«, sagte Hollerbach. »Warum er eigentlich umgezogen ist? Ich weiß es nicht.«
»Er war ein unauffälliger Mensch«, sagte Wohlrab. »Sie wissen schon, nicht die Sorte Mann, die immer gleich aufdreht und sich wie ein Gockel aufführt.«
»Leben seine Eltern noch?«
»Soviel ich weiß, nicht«, sagte Baltasar. »Aber wie lange sie tot sind, kann ich nicht sagen.«
»Sie werden sich doch um die Beerdigung kümmern, Hochwürden?« Agnes Wohlrab holte ihre Geldbörse hervor und zahlte ihren Einkauf. »Sie machen immer so – wie soll ich sagen? – ergreifende Gottesdienste.«
»Das wird dauern, befürchte ich. Es ist unklar, welche Bestattung der Sohn wünscht. Und die Polizei ist mit ihrer Arbeit noch nicht fertig. Zudem muss ich mich um die Reparatur des Kirchturms kümmern. Eine Messe ohne Glockenläuten ist nur eine halbe Messe, und bis das Geld von der Diözese kommt …«
»Das wird schon, Herr Pfarrer. Die Leute werden Sie unterstützen«, sagte Agnes Wohlrab. »Die Kirchenglocken sind ein Teil unseres Ortes.«
»Vielleicht müsste ich die Gemeinde um eine Spende bitten …« Baltasar war es unangenehm, das Thema anzusprechen.
»Gute Idee, Herr Pfarrer«, sagte der Metzger. »Den Gottesdienstbesuchern liegt sicherlich viel an ihrer Kirche. Ich jedenfalls werde spenden, gar keine Frage.«
»Genau, ich auch.« Agnes Wohlrab war an der Türe stehengeblieben. »Eine Spendenaktion, das ist es! Man sieht doch im Fernsehen, wie einfach das funktioniert. Ein Aufruf, ein Appell, der ans Herz geht, und schon fließen die Millionen. Und meinen Mann haue ich auch an, die Gemeinde soll sich ebenfalls engagieren. Das ist eine schöne Aufgabe für unser nächstes Treffen im Bibelkreis.«
Sie meinte das Treffen, das Baltasar ins Leben gerufen hatte, ein regelmäßiges Plauderstündchen bei Kaffee und Kuchen, der Frauenanteil – ohne Baltasar – betrug 100 Prozent. Es ging um soziale Projekte, aber eigentlich war es eine beliebte Börse für neue Gerüchte und Geschichten.
»Das freut mich, dass Sie mein Vorhaben begrüßen«, sagte er.
»Wenn Sie einen Handwerker brauchen, ich wüsste da jemanden für Sie, gar nicht teuer«, sagte Hollerbach.
»Wäre schon hilfreich, wenn jemand die Schäden begutachtet«, antwortete Baltasar. »Wer ist das denn?«
»Ein Cousin. Ein gelernter Zimmerer, das passt doch, er wohnt in Philippsreut. Ich ruf ihn gerne an und mach einen Termin aus.«
»Ja, tun Sie das, Herr Hollerbach, und rufen Sie mich an. Grüß Gott miteinander.« Baltasar nahm die Tüte mit der Semmel und machte sich auf den Rückweg. Er probierte einen Bissen und beschloss, die Semmel auf der Stelle aufzuessen.
Kaum war er daheim angekommen und hatte die Tür hinter sich geschlossen, klingelte das Telefon.
»Hallo, hier Bierbichler. Spreche ich mit Herrn Senner?«
Baltasar bejahte.
»Der Max, ich meine der Herr Hollerbach hat mich angerufen und mir Ihre Nummer gegeben. Sie hätten einen Auftrag für mich, hat er gesagt.«
»Aha, Sie sind der Zimmerer. Das ging aber schnell. Es wäre schön, wenn Sie sich zuerst alles vor Ort anschauen könnten.«
»Kein Problem, ich hab momentan arbeitsmäßig ein bisschen Luft. Wie wär’s, wenn ich in einer Stunde bei Ihnen bin?«
*
Der Handwerker war ein Mann in den Fünfzigern, ein Kugelbauch wölbte die Arbeitshose,
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